Briefe aus der Quarantäne (10): Die Mundmaske als Placebo und Raffaels Tod in Zeiten von Corona
Mailand (5. April) – Palmensonntag, der neunundzwanzigste Tag im Ausnahmezustand. Jetzt heißt es Masken tragen. Oder zumindest ein Tuch, einen Schal vor Mund und Nase halten, wenn man nach draußen geht. Das ist die jüngste Verordnung der Region Lombardei. Ob es etwas nützt? Bei den (wenn überhaupt) erhältlichen Masken ist die Wirkung, was den Schutz vor Ansteckung angeht, höchst umstritten, bei Tüchern oder Schals sogar witzlos. Aber wer sich nicht daran hält, wird in der Schlange vorm Supermarkt böse angeguckt. Massimo Gramellini hat gestern in seiner Rubrik „Il Caffè“ im Corriere della Sera weise von seiner „mascherina-placebo“ gesprochen. Er setze sie nur in Gegenwart von anderen auf, „um mir einzubilden, dass sie mich wenigstens vor ihren Urteilen schützt.“
Was mich wundert: Die Masken sind langweilig grauweiß, manchmal zart hellblau. Warum stellt Mailand, die Hauptstadt der Modewelt, keine bunten Masken her? Mit einem Regenbogen oder im Harlekin-Muster für die Hoffnungsvollen und die Gutgelaunten, mit grünen Blättern oder Palmenzweigen für Naturfreunde, schwarzblau gestreift für Inter-Fans, mit Ostereiern für Kinder? Masken für Label-Jünger von Prada oder Armani signiert? Man könnte sich auch einen Vorrat mit verschiedenen Emojis anlegen, die man je nach Stimmung aufsetzt, wenn man den Hund Gassi führt, vorm Supermarkt ansteht oder einfach nur 200 Schritte ums Haus machen darf.
500 Jahre nach Raffaels Tod
Wie die Zeit vergeht: Es ist einen Monat her, dass ich zur Pressevorbesichtigung der Jubiläumsausstellung zum 500. Todestag des Malers, Architekten und Altertumsforschers Raffael Sanzio in den Scuderie del Quirinale (in Zusammenarbeit mit den Uffizien Florenz) in Rom war. Die Ausstellung beginnt mit einer perfekten Kopie nach den Originalmaßen des Grabmals aus dem Pantheon und erzählt die Geschichte des Künstlers von 1520 bis 1483, vom Tod rückwärts bis zu seiner Geburt. Eine Präsentation mit prächtigen Leihgaben aus aller Welt von den Porträts bis zu den Madonnenbildern, von den Historienmalereien bis zu Zeichnungen und Architekturentwürfen. Und am Ende einer Perlenkette von über 200 Exponaten steht das Selbstporträt des jugendlichen Genies im Alter von 23 oder 24 Jahren aus den Uffizien.
Doch die vielleicht größte Raffael-Ausstellung aller Zeiten musste wenige Tage nach der Eröffnung am 5. März wegen der Corona-Epidemie vorerst schließen, die Zeichnungen wurden mit schwarzen Tüchern verhängt und so vor Ansteckung durchs Licht geschützt. Ursprünglich geplant ist eine Öffnungsperiode bis 2. Juni. Das Datum der Wiedereröffnung bleibt jedoch ungewiss, eine Verlängerung scheint wegen der vielen Leihgaben schwierig wenn nicht ausgeschlossen.
Unter dem Hashtag #RaffaelloInMostra kann man sich verschiedene Videos zur Ausstellungen herunterladen. Von der römischen Ausstellung bleibt außerdem der prächtige, drei Kilo schwere Katalog, erschienen bei Skira (Mailand), 543 Seiten, 46 Euro. Bei Wagenbach (Berlin) liegt „Das Leben des Raffael“ von Giorgio Vasari in einer neu übersetzten und kommentierten Ausgabe vor, 204 Seiten, 12,90 Euro. Der Deutschlandfunk sendet zum Datum einen Beitrag in seiner Reihe Kalenderblatt (6.April).
Schwacher Trost
Raffael verschlossen in Rom, ich sitze in Mailand fest. Sich mal wieder in den Zug setzen, ans Meer fahren, mit dem Fahrrad in Sanremo auf der zum Wanderweg umgestalteten alten Eisenbahnstrecke an der Küste entlang fahren – das bleibt am Palmensonntag Anno 2020 ein Traum nur. Ein schwacher Trost, wenn man sich das Meer nach Hause holen kann. Heute Mittag gibt es Spaghetti alle Vongole Veraci und einen gut gekühlten Vermentino di Gallura.
Wird fortgesetzt