CARAVAGGIOS WEIHNACHTLICHE AUFERSTEHUNG


In Palermo ist das verschollene Gemälde einer Geburt Christi
durch ein High-tech-Faksimile zurückgekehrt

copyright: Factum Arte

Enthüllung: Caravaggios wiederentstandene „Geburt Christi“ in Palermo am 12. Dezember

Palermo – Es ist Dezember und die Stadt hat mit der „Natività“ ihr vielleicht berühmtestes Weihnachtsbild wieder. Eine „Geburt Christi mit den Heiligen Franziskus und Lorenz“ von Michelangelo Merisi (1571-1610), den alle Welt nur Caravaggio nennt. Das rund zwei Meter breite und fast drei Meter hohe Gemälde wurde vor über 40 Jahren aus dem Oratorium von San Lorenzo geraubt und ist seitdem verschollen. Vermutlich war die Mafia im Spiel, und aller Wahrscheinlichkeit nach wurde es zerstört. Seit wenigen Tagen aber hängt über dem Altar eine rund 100 000 Euro teure Wiedergeburt, die vorgibt, dem Original aufs Haar zu gleichen. Der britische Künstler und Fototechniker Adam Lowe und sein in Madrid beheimatetes Laborunternehmen Factum Arte, das auf High-tech-Faksimiles in der Kunst spezialisiert ist, haben die „Natività“ nach Monate langer Arbeit wieder auferstehen lassen. Weihnachten und Ostern fallen in diesem Jahr in Palermo zusammen.

Ein faszinierendes Faksimile in Venedig
Adam Lowe und Factum Arte waren international bekannt geworden, als sie mit einer neuen Technik ein faszinierendes Faksimile des monumentalen Gemäldes „Die Hochzeit zu Kana“ (1563) von Paolo Veronese, das heute im Louvre hängt, herstellen konnten. Mit einer ausgeklügelten Lasermethode hatten Lowe und seine Mitarbeiter im Auftrag der Fondazione Cini aus Venedig das Gemälde digitalisiert, wobei jeder Quadratmeter mit einer Million Lichtpunkten abgetastet wurde. Die Daten wurden in eine Art Drucker eingegeben, der das Bild in mehreren Phasen im Verhältnis eins zu eins übertrug. Wobei man Farbstoffe benutzte, die auch zu Veroneses Zeit bekannt waren und die Leinwand nach historischen Vorgaben grundiert hatte. In einem letzten Arbeitsgang nahmen Lowe und seine Restauratoren dann eine Feinabgleichung vor. Das Faksimile, geradezu ein Klon, wurde vor ein paar Jahren im Refektorium des Klosters S. Giorgio Maggiore in Venedig, aus dem Napoleon das Originalbild hatte entführen lassen, aufgestellt. Kritik und Öffentlichkeit waren begeistert. Mit bloßem Auge konnte man keinen Unterschied mehr zwischen Original und Klon entdecken.

copyright: Factum Arte

Ein Caravaggio, der nicht von Caravaggio ist: die neue alte „Natività“ (197 x 298 cm)

Aber die „Geburt Christi“ aus Palermo konnte nicht geklont werden, es gab ja kein Original mehr. In der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1969 waren mehrere Männer ins San-Lorenzo-Oratorium eingebrochen. Mit brachialer Gewalt schnitten sie das riesige Leinwandbild aus dem Rahmen über dem Hauptaltar, rollten es hastig zusammen und brachten es in einem Lieferwagen weg. Bis heute gibt es nur Spekulationen über die Gründe, die höchste Kreise der Cosa Nostra dazu bewogen hatten, diesen Raub in Auftrag zu geben. Dass dies ein Mafia-Verbrechen war, bestätigen die Aussagen von Überläufern, die sich zur Mitarbeit mit den Justizbehörden entschlossen hatten. Angeblich war das Bild bei mehreren Gipfeltreffen der Cosa Nostra gezeigt worden. Jedoch soll es von Anfang an wegen nicht sachgemäßer Behandlung in einem schlechten Zustand gewesen sein. In den frühen 1980er-Jahren, so die Aussagen, hatte man es in einem Stall versteckt, wo es „von Schweinen und Mäusen angefressen“ wurde, bis man die Leinwand schließlich verbrannte. Luca Scarlini hat darüber bei Sellerio ein spannendes Buch veröffentlicht.

Die Methode der „Re-Materialisierung“
Geblieben war nur ein 10×18 Zentimeter großes Farbfoto dieses 1609 von Caravaggio auf Sizilien ein Jahr vor seinem Tod gemalten Bildes. „Re-Materialisierung“ nennt Adam Lowe seine Arbeit, an der sich Fotografen, Bildhersteller, Digitalexperten, Restauratoren, Kunsthistoriker und Fachleute für historische Farben und Lacke beteiligten. Ihnen kam zu Gute, dass in Rom eine auf Glas fixierte zweite Fotovorlage entdeckt wurde – allerdings nur auf schwarz/weiß. Lowe konnte außerdem auf eine intensive Auseinandersetzung mit Caravaggio zurückgreifen. Zum 400. Todestag des Malers hatte Factum Arte für den Ort Caravaggio, wo Michelangelo Merisi aufgewachsen war, den Matthäus-Zyklus aus der römischen Kirche San Luigi dei Francesi geklont. Dabei, so Adam Lowe, habe er gelernt, wie der Maler seine Farben herstellte und einsetzte.

Kunsthistoriker diskutieren nun darüber, was eigentlich im Oratorium von San Lorenzo zu sehen ist. Die Kopie nach einem nicht vorhandenen Original? Eine Fälschung, die vorgibt, eine neues Original zu sein? Oder Dank der „Re-Materialisierung“ die Wiedergewinnung eines historischen Kirchenraums, in dem Gemälde und Ambiente eine Einheit gebildet hatten? Zum Beispiel das, was die Fondazione Cini im Refektorium von San Giorgio Maggiore mit dem Klon der „Hochzeit zu Kana“ erreicht hatte. Und wovon man etwa in Piacenza träumt, wo Raffael seine Sixtinische Madonna für die Kirche San Sisto gemalt hatte und heute nur eine blasse Kopie aus dem 19. Jahrhundert hängt, während das Original in Dresden die Touristen begeistert.

Der private italienische TV-Kanal Sky Arte hat das Unternehmen von Palermo finanziert. Ein Dokumentarfilm über die Geschichte des Bildes, den Mafia-Raub und seine Wiedergeburt zu Weihnachten 2015 wird am 6. Januar 2016 ausgestrahlt.

Siehe auch den Bericht über Factum Arte und den Matthäus-Zyklus auf Cluverius