Dacia Maraini und die Kölner Ereignisse
Mailand – Im Corriere della Sera vom 10. Januar hat Dacia Maraini, die große alte Dame der italienischen Literatur, einen nachdenklichen Beitrag zu den Ereignissen der Sylvesternacht in Köln und anderen deutschen Städten veröffentlicht. Ihre wichtigsten Überlegungen sind:
Die Religion. Die Belästigungen, die Angriffe auf die Frauen, ließen sich mit keiner Religion rechtfertigen. Allerdings gebe es einen internationalen Terrorismus, der sich bei Religion bediene. „Die Terroristen wollen Angst und Schrecken verbreiten, wollen herrschen und zerstören. Weil sie aber ihre Verbrechen nicht im Namen eines nackten Egoismus verüben können, berufen sie sich auf archaische und historisch abgestorbene Leitsätze von Religionen.“ So als wenn wir das alte Testament wörtlich nehmen würden.
Die Täter. Sind das Einwanderer von heute oder von gestern? Die Differenz sei wichtig, denn kaum vorstellbar, dass Menschen, die ihr Leben riskiert haben, um in ein fremdes Land zu fliehen, so dumm sein können, ihren frisch gewonnenen Aufenthalt durch Rowdytum zu gefährden. „Ich glaube vielmehr, dass es Einwanderer der zweiten oder dritten Generation sind, Jugendliche, die sich diskriminiert fühlen und heute von einer Gewalt fasziniert sind, die sie plötzlich zu Protagonisten macht.“
Die Gesellschaft/ die Polizei. Auch in der angestammten Bevölkerung finde man die Ansicht, dass die Belästigung von jungen Frauen, die „frei und allein durch die Straßen laufen“, eher ein „Bubenstreich“ (ragazzata) sei. So wie die Einschüchterungsversuche mancher Ehemänner und Verlobter. „Diese Unterschätzung ist ein kulturelles Problem, keine psychologische Schwäche.“ Wer versuche, sexuelle Belästigung anzuzeigen, stoße nicht selten auf Beamte, die genervt reagierten, weil sie solchen Strafbestand nicht ernst nehmen würden. Oder die Klägerin werde einem strengen Verhör unterzogen unter dem Verdacht, den Übergriff durch eigenes aufreizendes Verhalten provoziert zu haben.
Die Frauen. „Es ist wichtig mit Festigkeit unsere Errungenschaften bei der Gleichheit und der Freiheit zu verteidigen, wie sie in der Verfassung festgelegt sind.“ Dabei müsse man zwischen Respekt und Relativismus unterscheiden. Relativismus bedeute, sich unkritisch anderen Werten zu beugen. „Respekt bedeutet dagegen, von dem anderen das einzufordern, was man von sich selbst verlangt.“ Der Respekt solle wie eine von allen anerkannten öffentliche Ethik praktiziert werden.
Um nicht in die Fallen zu tappen, die der religiöse Terrorismus uns stelle, „müssen wir gemeinsam nachdenken, neue Strategien entwickeln, große Gedanken mit langfristigen Perspektiven, und ein Beispiel von Reife und Verantwortung geben.“