Vor 100 Jahren wurde Aldo Moro geboren. Ein christdemokratischer Politiker, der den Schulterschluss mit den Kommunisten suchte
Rom – Aldo Moro war ein Politiker, der die Geschichte seines Landes nach dem zweiten Weltkrieg nachhaltig geprägt hat. Als junger Mann gehörte Moro zu den Gründern der christdemokratischen Partei. In unterschiedlichen Funktionen – etwa als Ministerpräsident, Außenminister und Parteisekretär der Democrazia Cristiana – begleitete er maßgebend die rasante Entwicklung, mit der Italien sich von einem Agrar- in ein Industrieland verwandelte. Und dazu eine wichtige politische Rolle auf der europäischen und internationalen Bühne spielen konnte. Neben der Friedenspolitik lag ihm besonders die Überwindung innenpolitischer Gegensätze am Herzen, um in einer übergreifenden Zusammenarbeit mit den Linksparteien Reformen durchzusetzen. Auf dem Höhepunkt dieser, auch in seiner eigenen Partei umstrittenen Strategie, wurde er von einem Terrorkommando der Roten Brigaden im Frühjahr 1978 entführt und wenige Wochen später ermordet.
Der damals 62jährige Aldo Moro war mit seinem ruhigen, besonnenen Auftreten ein idealer Vermittler. In seiner Partei, die immer wieder von rivalisierenden Strömungen gespalten wurde. Ein Mann des Ausgleichs auch im demokratischen Raum, der vom Gegensatz zwischen der Democrazia Cristiana und dem Partito Comunista geprägt war. Der deutsche Soziologe Peter Kammerer, der in Rom und Urbino lebt, erinnert sich an Moro „als einen der wenigen Politiker, die schon Anfang der 1960er Jahre verstanden hatte, dass es im Interesse des Landes läge, wenn die Christdemokraten sich nach links öffnen würden.“ Nicht nur zu den Sozialisten, sondern in den 1970er Jahren bis zu den Kommunisten.
Die Freundschaft mit Papst Paul VI.
Die Entführung Moros rückte eine Persönlichkeit und eine Strategie ins Licht der Weltöffentlichkeit, die damals nur Kennern der italienischen und der internationalen Politik ein Begriff war. Aldo Romeo Luigi Moro war am 23. September 1916, kurz nachdem Italien Deutschland den Krieg erklärt hatte, in einem kleinen Ort Süditaliens unweit der apulischen Kreisstadt Lecce auf die Welt gekommen. Er wuchs in Taranto auf, studierte dann Rechtswissenschaft in Bari, wo er auch die Universitätslaufbahn einschlug. Früh engagierte Moro sich in der katholischen Jugendbewegung und wurde hier von dem Prälaten Giovanni Battista Montini, dem späteren Papst Paul VI., gefördert. Die beiden verband eine lebenslange Freundschaft.
Aus seiner Ehe mit Eleonora Chiavarelli gingen vier Kinder, drei Mädchen und ein Junge, hervor. Agnese Moro, 1952 geboren, erinnert sich in dem Buch „Un uomo così“ (Rizzoli 2009) an einen liebevollen Vater, der bei der Erziehung der Kinder auf Überzeugung setzte. Im Gespräch macht sie deutlich: „Zum Beispiel wollte er nicht, dass ich anfing zu rauchen.“ So fand sie jeden Tag auf ihrem Bett Zeitungsausschnitte oder Zettel mit Antiraucher-Werbung. „Er war uns nie mit irgendwelchen Verboten gekommen, das hätte bei unserem rebellischen Charakter wohl auch wenig genützt.“ Heute arbeitet die Moro-Tochter als sozial engagierte Psychologin.
Einsatz für den Frieden
Als Vizepräsident der von ihm mitbegründeten christdemokratischen Partei nahm der knapp dreißigjährige Moro 1946 an der verfassungsgebenden Versammlung teil. Die Verfassung wurde ihm zum Leitfaden in vielfältigen politischen Ämtern: als Justiz- und Erziehungsminister in den 1950er Jahren, als Außenminister und als Ministerpräsident in den 1960er und 1970er Jahren. Agnese Moro streicht seinen Einsatz für den Frieden heraus, „gerade in der Zeit als Außenminister.“ Bis hin zur Konferenz über die europäische Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki 1972. Er war jemand, der in historischen Zusammenhängen dachte. In Deutschland wäre es wenig förderlich für eine politische Karriere gewesen, wenn ein Intellektueller wie Aldo Moro als Rechtsphilosoph jahrzehntelang wichtige Regierungs- und Parteiämter ausüben konnte. In Italien schien das kein Problem.
Zugleich wurde Moro jedoch als typischer Vertreter einer Partei gesehen, die Politik „von oben“, also weit entfernt von der gesellschaftlichen Basis betrieb. Oft machte er einen abwesenden Eindruck. Kissinger beschwerte sich einmal, Moro sei im Gespräch mit ihm eingeschlafen. Dazu gehörte auch seine geradezu barocke Art, sich auszudrücken und zu reden. Unverständlich für viele, die seine Sprache wie ein „neues Latein“ (Pasolini) nicht entschlüsseln konnten. Leonardo Sciascia schreibt in seinem Buch „Die Affäre Moro“, er habe versucht, „etwas zu sagen in der Sprache des Nichtssagens.“
„Parallele Konvergenzen“
Berühmt geworden ist sein Begriff von den convergenze parallele, von den „parallelen Konvergenzen“. Gemeint waren die Entwicklungen der Christdemokraten und der Kommunisten, die parallel verlaufen würden und dennoch konvergieren könnten. Ein logischer Fehlschluss? In Moros Denken nicht. Und deshalb wurde er von den Regierungen und Parteizentralen der westlichen Partner und Verbündeten als ein gefährlicher Träumer angesehen. In großen Teilen seiner eigenen Partei übrigens auch. Denn der kalte Krieg war noch lange nicht ausgestanden.
Nach seiner Entführung im März 1978 suchte die Polizei vergeblich das Versteck, wo der 62jährige Politiker gefangenen gehalten wurde. Vielleicht wollte man ihn auch gar nicht finden, wie Sciascia vermutete. Aus Gründen der Staatsraison lehnten die Parteiführungen der Christdemokraten wie der Kommunisten es ab, in Verhandlungen mit den Roten Brigaden über Bedingungen einer Freilassung von Aldo Moro zu treten. Nicht einmal seine Briefe wurden veröffentlicht. Nach Ablauf eines sogenannten Volksprozesses verurteilten ihn Terroristen zum Tode. Am 9. Mai wurde Moros Körper im Laderaum eines Renault 4 entdeckt, der in einer kleinen Straße der römischen Innenstadt genau auf dem halben Weg zwischen den Parteizentralen der Christdemokraten und der Kommunisten abgestellt worden war.
Der Anfang vom Ende
Mit seinem Tod zerbrach ein von langer Hand vorbereitetes politisches Bündnis, noch ehe es richtig begonnen hatte. Ein Bündnis, so Peter Kammerer, das vielleicht Italien die Reformen gebracht hätte, die das Land so dringend benötigte. Doch stattdessen steuerte es unter dem giftigen Einfluss der Korruption mit kräftiger Beteiligung der Craxi-Sozialisten auf einen Finanzkrise zu, die schließlich die Glaubwürdigkeit des demokratischen Systems erschütterte und zum Ende der von Aldo Moro mitbegründeten Democrazia Cristiana führte.
Die heute 64jährige Agnese Moro hat das Gespräch mit den Mördern ihres Vaters gesucht, soweit diese dazu bereit waren. Die würden, so die Tochter, eine Last, eine Schuld mit sich tragen, die sie niemals wieder los werden könnten. Auch sie könne sich nicht von dem Schmerz befreien, den man ihr zugefügt habe, „doch ich trage einen Schmerz in mir, für den ich nicht verantwortlich bin.“ Dass es unter den Terroristen Personen gebe, die sich dessen bewusst seien, macht sie hoffen. Wie ihr vor 100 Jahren geborener Vater glaubt sie, dass sich am Ende in den Menschen wie in der Gesellschaft das Gute durchsetzen könne.
Zum Termin am 23. September hat der Deutschlandfunk ein „Kalenderblatt“ über Aldo Moro ausgestrahlt