Wie in Italien der Film „Il vento fa il suo giro“ von Giorgio Diritti durch Mundpropaganda sein Publikum fand
Mailand (2008) – Im Cinema Mexico, einem unabhängigen Mailänder Vorstadtkino, wird in diesen Tagen ein Rekord angezeigt. Seit zwölf Monaten steht hier der Film Il vento fa il suo giro (frei übersetzt: „Der Kreis des Windes“) des jungen Regisseurs Giorgio Diritti auf dem Programm. Er erzählt von Chersogno, einem halbverlassen Dorf in den piemontesischen Meeralpen nahe der französischen Grenze, wo noch Okzitanisch gesprochen wird. Als ein französischer Hirte mit seiner Frau, seinen Kindern und seinen Schafen ins Dorf zieht, wird ihnen ein begeisterter Empfang bereitet. Doch nach und nach reiben sich die verschiedenen Kulturen aneinander. Die Neuen werden zu Fremden und die Integration scheitert schließlich.
Die Angst vor dem Anderssein
Ohne ideologischen Fingerzeig thematisiert der Regisseur die gleichsam archaische Angst vor dem Anderssein und dem Fremden. Giorgio Diritti, ein Schüler von Normanno Olmi, dem bewegende Szenen und großartige Natureindrücke gelingen, erzählt das mit einer fast dokumentarischen Bildersprache. Bis auf die Hauptdarsteller Thierry Toscan und Alessandra Agosti treten Laien aus den okzitanischen Tälern auf. Man redet Okzitanisch und Französisch (jeweils untertitelt) sowie Italienisch. Wenn das deutsche Wort „Heimatfilm“ nicht falsche Assoziationen wecken würde, könnte man Dirittis Arbeit im besten Sinne des Wortes so nennen.
Die Kritiker, so weit sie Il vento fa il suo giro gesehen haben, äußerten sich lobend bis begeistert. Auf Festivals in Lissabon, London, Toulouse, Kopenhagen oder auch Los Angeles und New York heimste der Film Trophäen ein. Für den nationalen italienischen Filmpreis Davide di Donatello erhielt er jetzt fünf Nominierungen. In einem gewissen Sinne ist das einer der erfolgreichsten Filme der Saison – und zugleich ist er dem großen Publikum völlig unbekannt. Das Paradox erklärt sich aus der Geschichte seiner Herstellung.
Acht Jahre Betteltour
Das erste Drehbuch stammt aus dem Jahr 1994. Doch kein Produzent wollte den Film machen. Er fiel auch mehrfach bei der staatlichen Drehbuchförderung durch, und das Fernsehen zeigte ebenfalls kein Interesse. Er sei angeblich nicht aktuell genug und nur für ein Nischenpublikum geeignet. Nach acht Jahren Betteltour konnte Diritti endlich die Film-Kommission der Region Piemont überzeugen und erhielt mit knapp 85.000 Franken ein schmales, eigentlich unmögliches Budget für einen Spielfilm. Doch der Filmemacher arbeitete drei weitere Jahre lang mit Freunden, die Kamera, Ton, Licht und Schnitt übernahmen, und holte sich seine Darsteller gleichsam von der Alm.
Als der Film dann Ende 2005 fertig war, wollte ihn jedoch keiner zeigen. Wenn ein Film in Italien keine staatliche Förderung bei der Produktion erhält, darf er laut Gesetz auch nicht bei der Distribution gefördert werden. Ein tödlicher Kreislauf, denn ohne staatlichen Zuschuss wollte kein privater Verleih ein Risiko eingehen und Giorgio Dirittis Vento in sein Programm aufnehmen.
Mutige Kinobesitzer
97 Prozent des italienischen Kinomarktes sind in den Händen von sechs Verleihfirmen (darunter Berlusconis Medusa Film), denen zugleich auch die absolute Mehrheit der Lichtspielhäuser gehört. So blieben dem Regisseur und Produzenten nur die wenigen, sozusagen an einer Hand ab zu zählenden unabhängigen Kinos, die er einzeln kontaktierte. Ein solch „schwieriger“, mehrsprachiger Film kann außerdem nur dann eine Chance haben, wenn man ihm Zeit gibt, sich sein Publikum zu erobern. Davon jedenfalls war Antonio Sancassani, der Besitzer des Cinema Mexiko überzeugt. Er ließ den Film im Programm, auch als nach der ersten Woche die Einnahmen enttäuschten. Langsam, fast allein durch Mundpropaganda, hat sich dann der Film beim Mailänder Publikum durchgesetzt. Mehr als 45.000 Besucher haben ihn inzwischen im „Mexico“ gesehen, wo außerdem der eine oder andere internationale Film in Originalsprache auf dem Programm steht und freitags seit 25 (!) Jahren der Klassiker The Rocky Horror Picture Show.
Dank mutiger Kinobesitzer wie Sancassani konnte Il vento fa il suo giro auch in Städten wie Bologna oder Turin gezeigt werden. Und spielte bislang über 500.000 Franken (das Sechsfache der Produktionskosten) ein. Für das Business, für Großverleiher wie Disney, Buena Vista oder Warner bleiben das natürlich Peanuts. Für die Kultur und das Europäische Kino lässt solch ein Film dagegen hoffen.
Erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 22.5.2008
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