DER PRIVATE BLICK


Ein Buch und eine lohnende Ausstellung in Padua zum Leben von Vincent van Gogh, mit der ein Kritiker wie Marco Goldin seine langjährige Auseinandersetzung mit dem Künstler auf den Punkt bringt

© Linea d'ombra

Gegen Ende eines Lebens – Landschaft bei Saint-Rémy 1889 (Öl auf Leinwand 70,5 x 88,5 cm) aus der Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen

Mailand/Padua (bis 6. Juni) – Seit über 20 Jahren beschäftigt sich der Kunsthistoriker Marco Goldin mit dem Maler Vincent van Gogh (1853-1890). Der inzwischen 60jährige Goldin, der aus Treviso stammt, hat sich in Norditalien einen Namen mit Blockbusterausstellungen zu Künstlern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert gemacht, also vor allem über Impressionisten, Spätimpressionisten und Expressionisten nicht nur aus Frankreich. In diesem Rahmen hat er konsequent seine Annäherung an van Gogh auch mit literarischen Texten vorangetrieben. Parallel zu der im vergangenen Herbst in Padua eröffneten – und dann wegen der Pandemie lange geschlossenen – Ausstellung Van Gogh. I colori della vita, veröffentlichte er beim Mailänder Verlag La nave di Teseo eine Art Biographie des Künstlers. Genauer gesagt auf Basis der umfangreichen Briefwechsel van Goghs eine autobiografia mai scritta („nie geschriebene Autobiographie“), wie es im Untertitel heißt. Das ist nun nicht das Buch zur Ausstellung, sondern man könnte eher umgekehrt von einer Ausstellung zum Buch sprechen.

Zu sehen sind über 80 Werke (Zeichnungen und Gemälde) van Goghs, dazu kommt ein knappes Dutzend Arbeiten von Zeitgenossen. Die Ausstellung im Centro San Gaetano versucht, den Lebensweg des Künstlers zu verfolgen, indem sie sich auf Schlüsselorte konzentriert. Vincent van Gogh, Sohn eines Pfarrers aus Noord-Brabant, eigentlich als Händler ausgebildet, dann auf der Suche nach Anstellungen als Prediger, kommt von seinem Bruder Theo unterstützt erst spät zum Künstlertum. Wobei er sich mit seinem eigenwilligen Charakter häufig selbst im Weg steht.

Von Brabant in die Provence

Es beginnt mit ersten Zeichnungen der Arbeitsbedingungen im belgischen Bergbaugebiet und dem ländlichen Brabant, setzt sich in Den Haag fort, wo er zur Gemäldetechnik findet, kehrt zurück zum harten Leben in den ländlichen Raum (Nueuen), bis er schließlich in Paris Anschluss an die Moderne findet und dann mit den Farben Südfrankreichs in Arles und Umgebung die Grundlagen für einen Erfolg legen kann, den er aber selbst nicht mehr erleben wird.

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Selbstbildnis mit grauem Filzhut in Paris 1887 (Öl auf Leinwand 44,5 x 37,5 cm)

„Ich stehe der Welt gegenüber in einer Schuld, und habe auch die Pflicht – weil ich auf ihr 30 Jahre herumgelaufen bin –, eine Zeichen der Dankbarkeit zu hinterlassen, irgendeine Erinnerung in Form von Zeichnungen oder Gemälden, die nicht nur entstanden sind, um dieser oder jener Tendenz zu gefallen, sondern die ein echtes menschliches Gefühl ausdrücken,“ schreibt Vincent in einem Brief an seinen Bruder Theo (1883).

Goldin stützt sich in dieser Ausstellung vor allem auf Leihgaben aus dem Kröller-Müller Museum (Otterlo) und dem Van Gogh Museum (Amsterdam). Dazu kommen neben dem Pariser Selbstbildnis von 1887 die berühmten Landschaften und Porträts aus Südfrankreich auch von anderen Leihgebern. Aber die gleichsam farblosen Studien der niederländischen Bäuerinnen und Bauern aus der Anfangszeit geben der Ausstellung einen Grundbass, der sich auch in den explosiven Arbeiten des Spätwerkes wiederfinden lässt. Und es gibt einen Auftakt, der van Gogh an die Gegenwart bindet und von vornherein jeden verkitschten Blick auf den Spätimpressionisten abweist: Studien von Francis Bacon aus dem Jahr 1956 zu einem leider im Zweiten Weltkrieg zerstörten kleinen Gemälde van Goghs, das den Künstler mit der Staffelei auf der Schulter auf den Weg zur Arbeit in der Landschaft bei Arles zeigt.

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Francis Bacon: Studie für ein Bildnis von van Gogh I , 1956 (Öl und Sand auf Leinwand, 154,1 x 115,6 cm) aus dem Sainsbury Centre, University of East Anglia

Es ist dieser private Blick Goldins, der die nachdenkliche Ausstellung auch von früheren widersprüchlichen Bilderinszenierungen des Kurators selbst abhebt, weil er sich ganz uneitel den privaten Blick des Künstlers zu eigen macht – als wäre der sein eigener Kurator.

Van Gogh. I colori della vita. A cura di Marco Goldin. Centro San Gaetano, Padua. Bis 6. Juni. Mo- Mi 10-13/14-20 Uhr, Do+Fr 10-13/14-21 Uhr, Sa 10-21 Uhr, So 10-20 Uhr. Eintritt: 17 Euro. Zugang begrenzt, Vorbestellung besonders fürs Wochenende dringend empfohlen. Hier im Internet oder per Telefon (+39) 0422 429999. Katalog 25 Euro.  Info: lineadombra.it 

Marco Goldin: Van Gogh. L’autobiografia mai scritta. La nave di Teseo, Milano (2020). 720 pp., 30 Euro