Briefe aus der Quarantäne (1) – Die Lombardei mit Mailand wird zum Sperrgebiet erklärt
Mailand (8. März) – Sonntag Morgen, wie immer. Frühstück in der Bar mit Caffè (doppio), Brioche (ai cereali) und Zeitung (domenicale del sole24ore). Ravasi zitiert in seinem Breviario Shakespeare zum Weltfrauentag. Die Kinorubrik lobt Giorgio Dirittis Film „Volevo nascondermi“ über den Maler Antonio Ligabue (fünf von fünf Sternen). Schade nur, dass ich ihn nicht sehen kann.
Die Kinos sind geschlossen, die Theater sind geschlossen, die Museen sind geschlossen. Und in den Bergen auch die Skianlagen. Die ganze Lombardei ist seit heute geschlossen, wie das Hauptblatt berichtet: Virus, una zona arancione per Lombardia – und ebenso für 14 Provinzen im Norden, darunter Venedig, und sogar Pesaro-Urbino in den Marken. Peter, später am Telefon, erstaunt: „Ach, haben sie uns auch eingekastelt?“
Was heißt Zona arancione? Angeblich kann keiner rein und keiner raus. Geht das überhaupt, wer will das wie kontrollieren? Und drinnen, was darf man, was soll man lieber nicht? Ein erster Tag zum Üben. Spaziergehen im Park? Natürlich, wie jeden Sonntag nach der Bar, ein Ritual. Sonne, blauer Himmel, die Mandelbäume blühen, die Magnolien auch. Hundehalter sind mit ihren Tieren unterwegs. Jogger. Kinder spielen. Vielleicht weniger Menschen als üblich für einen Sonntag Vormittag.
Etwas später eine neue Supermarkt-Erfahrung: Die Leute stehen Schlange vor der Filiale der Esselunga. Das kennt man sonst nur von Ausstellungen vor dem Palazzo Reale und vom Ansturm der Touristen auf den Dom: Der Zugang ist limitiert, es dürfen immer nur soviel Menschen rein wie raus. Anstehen für Konsumgüter wie in Kriegsgebieten. Oder wie es die Bedürftigen in Mailand regelmäßig bei den Ausgabestellen für Gratiswaren gewohnt sind.
Bitte Abstand halten
Um die Ecke ein ebenso großer Supermarkt einer anderen Kette. Keine Schlangen draußen, die bilden sich dafür drinnen vor den Kassen. Ab und zu Lautsprecherdurchsagen, man möge doch den vom Regierungsdekret vorgeschrieben Mindestabstand von einem Meter zwischen den Personen einhalten.
Es wird viel Mineralwasser gekauft, aber die Regale sind weiterhin gut gefüllt. Ein Bekannter in der Schlange zur Nachbarkasse. Man winkt sich zu. Die Hand geben? Nein Danke. Und schon gar keine Wangenküsse. Händewaschen dann zuhause, das hat man seit Wochen schon gelernt.
Nach dem Mittagessen Spaziergang Richtung NoLo-Viertel. Zuerst auf den Corso Buenos Aires weniger Menschen als sonst am Sonntag. Aber leergefegt kann man das nicht nennen, einige Geschäfte haben geöffnet. In der Via Padova halten dagegen die mit Tags bekritzelten Rollläden viele kleine Läden von Asiaten und Südamerikanern verschlossen. Im Trotter-Park bleiben die Ausländer unter sich. Familien mit Kindern, Jugendliche haben Fußballfelder improvisiert, Müllbehälter als Torpfosten.
Gelb leuchten Osterglocken
Etwas weiter, auf der kleinen autofreien Piazza bei der Via Vanini mit ihrem bunt bemalten Pflaster stehen zwei fest verankerte Pingpong-Tische, an beiden wird gespielt. Schrill legt sich die Tram 1 mit ihren alten Waggons aus den 1930er Jahren in die Kurve zur Endhaltestelle. Kein Fahrgast im Inneren. Reichlich Leute dann aber auf dem Rad- und Fußweg längs des Naviglio della Martesana, wo oft von Mindestabstand keine Rede sein kann. Gegenüber am Ufer kleine Gärten, gelb leuchten Osterglocken.
Im Radio Meldungen über eingeschränkten Flugverkehr. Alitalia bedient nur noch einige Inlandsrouten. Auf den Hauptverkehrsstraßen von und zur Lombardei soll es keine Sperrungen aber gelegentlich Kontrollen durch die Polizei geben. Die Züge fahren regelmäßig, heißt es. Es wird Abend. Bars und Restaurants schließen jetzt um 18 Uhr. Inter verliert im Turiner Juventus Stadium vor leeren Rängen 0:2.
(Wird fortgesetzt)