Ein Gespräch mit Andrea Camilleri über Kochen und Essen
Herr Camilleri, warum spielt die Küche und das Essen eine so wichtige Rolle in ihren Büchern?
Andrea Camilleri: Ich weiß nicht, ob sie wichtig ist. Aber Essen, der Genuss ist in einem katholischen Land immer als Sünde angesehen worden. Sünden sind dazu da, dass man sie begeht. Das Vergnügen am Essen ist also ein kulturelles Phänomen. Ich meine nicht ein Vergnügen wie etwa in dem Ferreri-Film „Das große Fressen“, sondern wie in dem dänischen Film „Babettes Fest“ nach der Erzählung von Karen Blixen. Das Essen ist nicht nur ein Ritus, nicht nur höchste Tafelfreunde, sondern das Sein des Menschen. „Babettes Fest“ ist ein Lehrstück über die Kultur der Küche.
Auch ihr Kommissar Montalbano schätzt einen Teller Meeresfrüchte…
Camilleri: Montalbano isst einfache Dinge, nichts Raffiniertes. Die einfachen Speisen setzten aber natürliche Zutaten voraus. Sonst mag er sie nicht.
Die Frische muss man schmecken.
Camilleri: Selbstverständlich. Stellen sie doch eine eben an den Klippen gefischte Rotbarbe vor. Schon wenn man sie einfriert, verändert sich ihr Geschmack.
Montalbano gehört auch zu denen die Arbeitsessen verabscheuen.
Camilleri: Schon das Reden bei Tisch stört ihn, er isst am liebsten allein. So wird er nicht von den Speisen abgelenkt. Wenn man ein Gespräch führen muss, denkt man nicht mehr an den Gaumen und kann nicht genießen.
Hat Montalbano in seinen Tischgewohnheiten Vorbilder?
Camilleri: Also die Idee habe ich einem großen italienischen Schriftsteller abgeguckt. Von Massimo Bontempelli habe ich einmal eine kleine Geschichte gelesen, die mich beeindruckt hat. Da kommt ein Reisender in ein Dorf, wo er schreckliche Szenen erlebt: die Leute treiben es zu jeder Zeit, auf offener Straße, im Stehen, auf den Treppenstufen, überall. Schließlich bekommt er Hunger und fragt, wo man essen kann. Die so Angesprochenen sind entsetzt: Psst, nicht so laut, essen? Das Essen ist im Dorf obszön, nicht das Andere, und so führt man ihn heimlich an einen Ort, wo wenige Einzelne, jeder für sich, am Tisch sitzen und genießen. Das ist die Ausgangsidee für Montalbano.
Die Trattoria als Puff.
Camilleri: Genau.
Hätten Sie nicht Lust, ein ganzes Buch übers Essen zu machen?
Camilleri: Das fehlte mir noch! Viele Verleger haben mich danach gefragt, aber das wäre nun wirklich absurd. Es ist so, als würde man mich um einen Aufsatz über, sagen wir, Herzgefäßoperationen bitten. Davon verstehe ich absolut nichts. Und von der Küche auch nicht. Ich habe immer gerne und gut gegessen, weil das Essen bereits in unserer Familie eine wichtige und ernste Rolle gespielt hatte. Aber ich kann nicht kochen wie etwa Manuel Vázquez Montalbán. Ich kann überhaupt nicht kochen! Aber Sie haben Recht, es wird ein Buch über Montalbanos Speisezettel geben.
Von wem lassen Sie das denn schreiben?
Camilleri: Der Lübbe Verlag hat mir eine Liste mit allen Speisen geschickt, die in meinen Büchern vorkommen. Ich habe gesagt, wendet euch an Leute in Sizilien, die davon etwas verstehen, und lasst euch die echten Rezepte geben. Ich schreibe ein paar Sätze als Vorwort und dann könnt ihr das in Deutschland veröffentlichen.
Nur in Deutschland?
Camilleri: Von mir aus auch in Frankreich oder sonst wo. Aber nicht in Italien. Hier werde ich bereits als reiner Krimiautor abgetan und mißverstanden. Jetzt fehlt mir bloß noch, dass ich als Kochbuchautor abgestempelt werde.
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Das Gespräch wurde Ende Mai 2001 in Rom geführt. Inzwischen ist ein Buch zum Thema erschienen:Martina Meuth, Bernd Neuner-Duttenhofer: Andrea Camilleris sizilianische Küche. Die kulinarischen Leidenschaften des Commissario Montalbano. Bastei Lübbe, 256 Seiten, 18 Euro