DIGITALER SCHATTEN


Die Fotografie in der Kunstgeschichte und eine Online-Ausstellung zum Kreuzgang von Monreale

copyright KHI Florenz

König Wilhelm II. mit dem Modell des Domes von Monreale – Kapitell aus dem 12. Jahrhundert

Florenz/Mailand (2009) – Es ist eine Frage der Methode: „Wer die meisten Photos hat, gewinnt.“ Mit diesem Satz brachte Erwin Panofsky die tragende Rolle der Fotografie in der kunsthistorischen Beurteilung auf den Punkt. Fotos von Kunstwerken gelten nicht nur als Gedächtnisstütze für den Wissenschaftler oder als Lehrmittel im Unterricht, sondern als Dokument und als Beweis im wissenschaftlichen Streit. Und sogar als Ersatz für das, was man selbst nie gesehen hat, obwohl man ausführlich darüber redet – wie etwa Richard Krautheimer einmal selbstkritisch anmerkte.

Die Rolle der Fotografie als „Instrument und Medium der Kunstgeschichte“ untersucht Costanza Caraffa vom Kunsthistorischen Institut der Max Planck Gesellschaft in Florenz (KHI) in dem von ihr herausgegebenen gleichnamigen Band mit Autoren wie Peter Greimer (Universität Halle-Wittenberg), Heinrich Dilly (Zürich), Nina Lager Vestberg (Trondheim) und anderen. Im Vorwort des anregenden Sammelbandes skizziert die florentinische Kunsthistorikerin die Geschichte der Dokumentationsfotografie. Sie schlägt einen Bogen von der Ablösung der Druckgrafik als Bildmaterial im späten 19. Jahrhundert bis hin zur digitalen Dokumentation heute. Die erlaubt auch Blickwinkel, welche die direkte Betrachtung des Kunstwerkes niemals ermöglichen würden. Die neue Technik ließe aber oft vergessen, „dass wir nicht Gemälde, Zeichnungen oder Bauwerke ‚ins Netz stellen’, sondern, platonisch gesprochen, nur deren digitale Schatten.“ Noch nie sei es außerdem so leicht gewesen, ein Foto zu bearbeiten und damit zu fälschen. Die Glaubwürdigkeit eines digitalen Bildes hänge daher entscheidend von der Autorität der Institution ab, welche für die „Dokumentechtheit“ der Bilddateien bürge.

Fotos als Dokumente ihrer selbst

Derweil verwandeln sich die alten analogen Fotos, besonders die früheren Schwarz-Weiß-Aufnahmen, zu Dokumenten ihrer selbst und damit gleichsam zu Originalen. So haben die großen Phototheken der bedeutenden kunsthistorischen Einrichtungen eine doppelte Funktion: in ihnen kann man mit Fotos über dargestellte Kunstwerke forschen – aber auch über Fotos als Teil der Kunstgeschichte. Diese Doppelfunktion unterstreicht die von Costanza Caraffa geleitete Photothek des KHI seit geraumer Zeit mit ihren Online-Ausstellungen.

Nach mehreren historischen Ausstellungen etwa über „Cimelia Photographica (1850-1900)“ präsentiert das KHI gerade den Beginn des großangelegten digitalen Forschungsprojektes „Cenobium“. Dabei geht es, von Ute Dercks eingerichtet, um die multimediale Darstellung romanischer Kreuzgangkapitelle im Mittelmeerraum während des 12. und 13. Jahrhunderts. Hoch auflösende Digitalfotografien, 3D-Modelle und Panoramaufnahmen können virtuell verknüpft werden. Das von der KHI zusammen mit internationalen Kooperationspartner durchgeführte Projekt soll zu Forschungszwecken, für die Lehre aber auch als Dokumentation für Restaurierungen dienen. Die bedeutendsten Beispiele dieser Kapitellkunst findet man heute in Südfrankreich, Nordspanien und auf Sizilien.

Sakrale e profane Figuren

Als erstes wählten die Wissenschaftler den Kreuzgang des ehemaligen Benediktinerklosters beim Dom von Monreale hoch über Palermo. Mehrere Monate dauerte die Fotokampagne, bei der über hundert Doppelkapitelle über Zwillingssäulen jeweils eingerüstet, abgedunkelt und mit Spezialkameras abfotografiert wurden. Die spektakuläre romanische Anlage, die zwischen 1174 und 1189 unter König Wilhelm II. von Sizilien entstand, führt normannische, byzantinische und arabische Strömungen der Bauskulptur vor. Kurz vor der Wende zum 13. Jahrhundert entstand hier ein neuer Typus von Kapitell.
Wurden die Kapitelle früher ornamental geschmückt oder beschränkten sich auf symbolische Darstellungen etwa des Kampfes zwischen Gut und Böse, fangen sie jetzt an zu „reden“. Sie erzählen biblische Geschichten zum Beispiel die Genesis, den Noah-Zyklus oder die Kindheit Jesu. Sie zeigen ebenfalls historische Begebenheiten wie die Gründung von Dom und Kloster Monreale oder Allegorien (der Monate). Und es tauchen auch ganz profane Figuren, wie etwa ein Akrobat auf, den die anonymen Künstler in ihre Erzählung eingefügt haben.

Dieser Paradigmenwechsel von der symbolischen zur narrativen Darstellung steht im Mittelpunkt des Cenobium-Projektes, das auf diese Weise das Thema wechselseitiger künstlerischer Beziehungen im Mittelmeerraum untersuchen will. Die Aufnahmen, die auf der Online-Ausstellung des KHI gezeigt werden, können nur einen kleinen Einblick in die technischen Möglichkeiten des Projektes geben. Doch sie führen bereits den künstlerischen Reichtum der in Monreale tätigen Werkgruppen vor, wie man ihn plastischer an Ort und Stelle nicht erleben kann. Über die Frage ihre „Dokumentechtheit“ sind die Bilder angesichts der beteiligten Partner vom Institut für wissenschaftliche Informationstechnologie (ISTI) in Pisa bis zum KHI in Florenz als Einrichtung der Münchener Max-Planck-Gesellschaft sowieso erhaben.

Costanza Caraffa (Hrsg.): Fotografie als Instrument und Medium der Kunstgeschichte. Deutscher Kunstverlag 2009, Berlin/München. 163 S., 24,90 Euro.
Der Kreuzgang von Monreale. Eine Online-Ausstellung der Photothek des Kunsthistorischen Instituts in Florenz