EDINAS GESCHICHTE


Eine Ausstellung in Nuoro untersucht die kulturellen Beziehungen zwischen Sardinien und dem Piemont, nachdem die Insel vor 300 Jahren an des Turiner Herzogtum angegliedert wurde.

© MAN - Il regno segreto

Bizarre Bronzegötzen aus Sardinien – eine Fälschung des 19. Jahrhunderts

Nuoro – Sardinien und Piemont verbindet eine 300jährige Geschichte. Im Jahr 1720 war das damalige Königreich Sardinien den Verträgen von London und Den Haag nach dem Herzogtum Savoyen zugesprochen worden – und hatte damit den Herzog in Turin zu einem König gemacht. Die neuen Herren kümmerte sich jedoch – abgesehen von den Jahren ihres Exils in Cagliari während der napoleonischen Dominanz in Italien – wenig um die Insel. Noch heute werden die Savoyer dort in vielen Veröffentlichungen verächtlich als „Kolonialherrscher“ bezeichnet. Die Ausstellung in Nuoro Il regno segreto. Sardegna-Piemonte: una visione postcoloniale versucht dagegen die Beziehungen, den Austausch und das gegenseitige Durchdringen im kulturellen Bereich mit persönlichen Erfahrungen, Objekten und Ideen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beschreiben.

Es gibt es neben bekannten Geschichten – wie etwa die Landschafts- und Naturforschungen auf Sardinien durch den Turiner General Alberto La Marmora in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – einiges zu entdecken. Piemontesische Ingenieure und Architekten planen auf Sardinien Straßen, Brücken, Monumentalbauten oder auch Theater. Dem Bildhauer Giuseppe Satorio zum Beispiel, der auf mysteriöse Weise 1922 bei einer Überfahrt nach Olbia verschwindet, und mehreren Turiner Kollegen sind prächtige Grabmäler auf Friedhöfen in Sassari, Nuoro aber vor allem in Iglesias zu verdanken. Genremaler, zum Beispiel Giovanni Battista Quadrone, finden auf der Insel Ende des 19. Jahrhunderts dankbar archaische Motive.

© Iisso

Edina Altara in den 1920er Jahren

Umgekehrt suchen sardische Künstlerinnen und Künstler in Norditalien Erfolg. Da stößt man auf die faszinierende Geschichte der Illustratorin Edina Altara aus Sassari, die nach dem ersten Weltkrieg aufs Festland wechselt, dort für Zeitschriften und Verlage in Turin tätig wird und später als Mitarbeiterin von Gio Ponti in Mailand Erfolg hat. Zur Geschichte gehört auch eine kurze Arbeitsgemeinschaft – und ebenso kurze aber mondän geführte Ehe – mit dem adeligen Grafiker Vittorio Accornero aus Casale Monferrato, der u.a. für Gucci Entwürfe liefert. Sardische Intellektuelle wie Antonio Gramsci – den die Ausstellung ängstlich überspringt und nur kurz im Katalog erwähnt – prägen italienische Geschichte vom Kontinent aus. Ein Costantino Nivola oder ein Giovanni Pintori arbeiten am Anfang ihrer künstlerischen Laufbahn als Grafiker bei Olivetti in Ivrea.

Eine Insel der Fälscher

In den Kulturbeziehungen spielen auch Fälschungen eine Rolle. Ein Mönch verkauft ab 1845 der Universitätsbibliothek von Cagliari Pergamentschriften, die angeblich aus dem der mittelalterlichen Epoche des Judikats von Arborea stammen sollen. Diese Carte d’Arborea werden als sensationelle Funde gefeiert. Neben Gesetzestexten finden sich auch literarische Arbeiten eines Torbeno Falliti, der schnell zum „sardischen Petrarca“ hochgejubelt wird. Gutachten in Sardinien und von der Akademie der Wissenschaften in Turin bestätigen die Echtheit.

Doch als Zweifel aufkommen, bittet man den Berliner Historiker Theodor Mommsen um eine Expertise. Eine plumpe Erfindung, so sein niederschmetterndes ein Urteil. Sardinen sei, so Mommsen, „eine Insel der Fälscher“.

Sardisch-phönizische Phantasiegeschöpfe

Denn wenige Jahre zuvor hatte eine andere Fälschungsaktion auf Sardinien die europäische Öffentlichkeit beschäftigt und das Turiner Herrschaftshaus lächerlich gemacht. Von den 1820er Jahren an waren primitive Bronzestatuen, angeblich sardisch-phönizische Götzenbilder aufgetaucht. Bei Ausgrabungen, die vom Hof finanziert wurden, kamen immer mehr dieser bizarren Figuren zum Vorschein. Museen in Cagliari wie in Turin brachten sie großen Zulauf. König Carlo Alberto, ein Hobbyarchäologe, fand eigenhändig welche bei Ausgrabungen 1841 in Nola (- die natürlich dort versteckt worden waren). Sogar ein Heinrich Schliemann bestaunte sie bei einer Reise nach Sardinien.

Doch Wissenschaftler deckten bald die „Produktion“ dieser Phantasiegeschöpfe auf – und die „sardisch-phönizischen Götzen“ verschwanden schnell aus den Auslagen der Museen. Jetzt sind einige von ihnen auf der Ausstellung in Nuoro zu sehen.

Ein geheimes Reich der Kultur?

Die Geschichte der kulturellen Durchmischung von Insel und piemontesischem Festland ist also reicher, als eine bislang oberflächliche Betrachtung vermuten ließ. Die Ausstellung ist deshalb in vieler Hinsicht nicht nur anregend, sondern notwendig und offen für weitere Studien.

© MAN - Il regno segreto

Foulard mit Trachten aus Italien von Vittorio Accornero für Gucci (um 1960)

Aber mit den Kuratoren Luca Scarlini und Luigi Fassi von einer umfassenden „kulturellen Kreuzung als Ergebnis eines Prozesses von Austausch, Verhandlungen und Beziehungen“ zu sprechen und gar wie im Titel ein gemeinsames „geheimes Reich“ der Kultur zu postulieren, das bleibt eine gewagte These. Gewiss hatten viele Sarden bis zur Gründung des italienischen Einheitsstaates im Piemont ein kulturelles Ambiente gesehen, in dem man sich aus lokalen Abhängigkeiten und Einschränkungen befreien konnte. Aber dann wird Rom für Sardinien nicht nur politisch bedeutender als Turin. Umgekehrt bleibt das Interesse von Kulturschaffenden aus dem Piemont an Sardinien von interessanten Einzelgeschichten abgesehen bis heute doch eher punktuell.

Il regno segreto. Sardegna-Piemonte: una visione postcoloniale. MAN, Nuoro. Bis 15.11. Tgl. außer Mo 10-19 Uhr, Eintritt 5 Euro, Katalog (Ilisso, Nuoro) 35 Euro

Zur Geschichte von Edina Altara siehe auch: Giuliana Altea: Edina Altara. Ilisso edizioni, Nuoro 2005. 128 pagg., 12 Euro