DORN IM AUGE


In Italien versuchen rechtspopulistische Bürgermeister „linksverdächtige“ Kultureinrichtungen umzupolen

copyright Il mattino Padova

Proteste gegen Schließung des Festivals „Fiera delle Parole“ in Padua

Padua – Wer in Italien Kultur unters Volk bringen will, gründet ein Festival. Insgesamt gibt es rund 1200 jährlich wiederkehrende Kulturfestspiele, so viele wie in keinem anderen europäischen Land. Allein 200 davon widmen sich dem Thema Literatur. Zum Beispiel auch in Padua die Fiera delle Parole . Dort gab es jetzt Protest. Am Montag Abend zogen mehrere Hundert Menschen vor das Rathaus der drittgrössten Stadt Venetiens. Sie wehrten sich mit einem Happening gegen die Schliessung der „Wörter-Messe“ für die in den klammen Kassen der Kommune angeblich keine Finanzmittel mehr aufzutreiben sind. Das Festival hatte die alte Universitätsstadt mit zuletzt rund 200 Veranstaltungen an fünf Tagen in eine attraktive Kulturmetropole verwandelt, in die 70.000 Besucher strömten. Kosten:  rund 120.000 Euro, wovon die Gemeinde bislang zwei Drittel trug, den Rest schoss eine Bankstiftung zu.

„Immer die selben linken Autoren“

Doch das ist keine Frage des Geldes. Padua wird seit etwas über einem Jahr von der Kleinbürgerpartei Lega Nord/Liga Veneta in einer Koalition mit anderen Rechtsgruppierungen regiert. Bürgermeister Massimo Bitonci war die Veranstaltung mit „immer den selben linken Autoren“ von Anfang an ein Dorn im Auge. Im vergangenen Jahr hatte er noch versucht, das Festival zu steuern. Er legte eine Liste von eher ungeliebten Gästen vor, darunter der Schriftsteller Corrado Augias, der langjährige Chefredakteur der Tageszeitung la Repubblica Ezio Mauro oder der Karikaturist der l’Unità Sergio Staino, und schlug andere Namen vor. Schließlich finanziere man des Festival. Schafft an, wer zahlt? Die Kulturmanagerin Bruna Coscia, die die Fiera delle Parole vor neun Jahren gegründet hatte und seitdem leitet, lehnte entrüstet diese Logik ab. Und Corrado Augias verglich nach Pressemeldungen etwa in La Stampa diese „schwarze Liste“ gar mit faschistischen Zeiten – was man auch eine Überreaktion nennen kann.

copyright Fiera delle Parole

Kulturmanagerin Bruna Coscia

Gleichwohl: Im vergangenen Oktober konnte das Literaturfestival noch in alter Form über die Bühne gehen. Doch nun wird sich Bruna Coscia wohl einen anderen Ort für ihre Schöpfung, die sie vielleicht allzu kompromisslos verteidigt hat, suchen müssen. Kulturell zeigt sich die Gesellschaft von Padua schon seit vielen Jahren gespalten. Hier Angst vor Fremden und Furcht um Sicherheit, dort Hoffnung auf Öffnung und Sorge vor Rückschritt. Eine große Kulturveranstaltung hätte die Aufgabe, die beiden „Seelen“ der Stadt in ein Gespräch zu bringen, Brücken zu bauen. Doch das Festival hat bislang bewusst nur eine Hälfte der Stadt bedient. Aber ist das ein Grund, es jetzt seinerseits zu vertreiben? Aus ganz Italien flattern Solidaritätsadressen ein – vom Schlagersänger Al Bano aus Apulien bis zur Schriftstellerin Michela Murgia aus Sardinien.

Jetzt soll Vittorio Sgarbi es richten

Lega-Bürgermeister Bitonci, von Beruf Steuerberater, will jedoch nicht als Kulturmuffel in die Stadtgeschichte eingehen. Er hat längst mit dem Kunsthistoriker Vittorio Sgarbi aus Ferrara Kontakt aufgenommen. Der 63jährige Kritiker und Kurator ist mit vielen öffentlich ausgetragenen Polemiken und wechselnden politischen Funktionen – zurzeit auch als „Assessor für Revolution und Kultur“ der schwarz-grünen Stadtregierung von Urbino – eine der schillerndsten Figuren der italienischen Kulturszene. Und zugleich ein (allerdings unberechenbarer) Vorzeigeintellektueller rechtsliberaler Kreise, der immer wieder gerufen wird, wenn es darum geht, „linke“ Einflüsse zurück zu drängen. „Haben die keinen anderen?“ spottete der natürlich „linke“ Journalist und Schriftsteller Michele Serra in der Repubblica über Sgarbis neues Engagement in Padua. Der möchte jetzt als Ersatz für die Fiera delle Parole islamische Schriftsteller, die im Westen leben, einladen. Keine schlechte Idee für eine Veranstaltung – aber wohl keine Formel für ein Literaturfestival, das mehrere Zehntausend Menschen anziehen will.

Doch Kultur ist weder rechts noch links

Das Hickhack von Padua zeigt wieder einmal, wie ideologische Rechts-Links-Schemata in die Kulturszene der Städte einwirken, wenn sich die politische Färbung der Regierungen ändert. Vor ein paar Monaten auch in Venedig, wo Schulbüchereien von Büchern „gesäubert“ wurden, die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften schilderten. Oder eine kritische Fotoausstellung über riesige Kreuzfahrtschiffe in der Lagune nicht mehr im kommunalen Palazzo Ducale stattfinden durfte. Kultur sei weder rechts noch links, beklagte Arianna Ciccone, Leiterin eines Festivals über Journalismus in Perugia, die Versuche besonders rechtspopulistischer Kreise, Kultureinrichtungen neu zu polen.

Dabei findet die Populärkultur ganz woanders statt. Zwar entzieht sich nach den Angaben des nationalen Statistikamtes einer von fünf Italienern ganz und gar dem Kulturangebot und etwa die Hälfte der Bevölkerung liest kein einziges Buch im Jahr. Aber 92 Prozent sind Fernsehkonsumenten. Und diese Szene wird von privaten Sender, gerade auch von vielen kleinen lokalen Stationen geprägt, die man nicht „umpolen“ muss.

Der Beitrag ist in etwas kürzerer Form erschienen auch in der Neuen Zürcher Zeitung vom 27.1.2016