Fondazione Prada (2): Eine Ausstellung lässt unterschiedliche Kunstströmungen und kulturelle Tendenzen in Italien zwischen den beiden Weltkriegen wieder aufleben. Dabei ist ein überraschend pluralistisches Bild der Zeit entstanden.
Mailand (Fondazione Prada bis 25. Juni) – Italien diskutiert über alten und neuen Faschismus. Rechtsradikale Gruppen wie die Casa Pound drängen in die Politik. Sie solidarisieren sich mit Gewalttaten von Einzeltätern gegen Ausländer. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten wünschen sich viele Italiener Umfragen nach einen starken Mann an der Spitze. In diesem Klima zeigt die Fondazione Prada eine seit langem vorbereitete Ausstellung über Kunst und Kultur in Italien zwischen 1918 und 1943. Im Mittelpunkt stehen rund 500 Arbeiten vorwiegend der Malerei, der Skulptur und der Architektur aus einer Periode, die von 1922 an politisch wie gesellschaftlich vom Faschismus beherrscht wurde.
Kulturell aber standen traditionelle Strömungen neben avantgardistischen. Plakate, Fotografien, Filme leuchten den propagandistischen Hintergrund aus. Dazu kommen Zeitschriften, Bücher, Briefe und persönliche Zeugnisse von Künstlern Das ist eine Ausstellung, die wie vielleicht nie zuvor eine Fülle von Anschauungsmaterial jener Epoche ausbreitet. Aber keine Stellung bezieht und kein Urteil über die Zeit fällt.
Farben- und Formenwirbel
Filippo Tommaso Marinetti ist die zentrale Figur zum Auftakt. Der Dichter, Intellektuelle und Journalist hatte bereits vor dem ersten Weltkrieg die futuristische Bewegung gegründet. Kraft, Geschwindigkeit, Farben- und Formenwirbel waren die Kennzeichen der Futuristen. Das an Schwitters erinnernde Gedicht „Post Zang Tumb Tuum“ von Marinetti gibt der Ausstellung ihren Titel. Marinetti sah im aufkommenden Faschismus eine revolutionäre Bewegung gegen Kirche und Monarchie, zog sich jedoch später enttäuscht zurück.
Zwischen der Aufbruchsstimmung etwa in der großen Mailänder Schau zum Futurismus 1919 und Marinettis Tod 1944 schlägt die Ausstellung einen weiten, beeindruckenden Bogen. Mit Künstlern wie Umberto Boccioni bis Emilio Vedova, Felice Casorati bis Giorgio de Chirico, Giacomo Balla bis Giorgio Morandi. Man sollte sich Zeit nehmen, die Ausstellung wird man im Schnellgang nicht mit Gewinn durchlaufen können.
Überzeugende Methodik
Wobei Kurator und Kritiker Germano Celant, einst Biennale-Direktor in Venedig und seit 25 Jahren künstlerischer Leiter der Fondazione Prada, auf ein formales Grundprinzip setzt. Er möchte zeigen, dass Kunst ein historisches Dokument ist und nicht nur ästhetischen oder ökonomischen Wert hat, sondern Informationen vermittelt. Was teilte man damals mit? Wie kommunizierten die Künstler?
Celant hat dafür eine überzeugende Methodik gefunden. Ausgangspunkt sind Fotografien von Ausstellungssälen der Zeit, von Ateliers oder mit Kunstwerken ausgestatten Privaträumen. Die jeweiligen schwarz-weiß Fotografien wurden zur Originalgröße aufgeblasen, dass man den dargestellten Raum wie eine Kulisse vor sich sieht oder ihn teilweise sogar als dreidimensionale Installationen betreten kann. In diese Kulissen werden nun die Originale der auf dem Foto abgebildeten Gemälde gehängt oder der abgebildeten Skulpturen gestellt, so weit man ihrer habhaft werden konnte.
Kontextualisierung und Dokumentation
Insgesamt sind 24 solcher Rekonstruktionen entstanden, die zusammen mit weiteren Themenräumen fast die gesamte Ausstellungsfläche der von Rem Koolhaas für die Prada-Stiftung umgebauten Fabrikanlage am südlichen Stadtrand von Mailand ausfüllen. Im Kinosaal der Anlage werden 29 Wochenschauen aus den Jahren zwischen 1929 und 1941 in integraler Fassung gezeigt.
„Es geht“, so Celant im Gespräch, „um Kontextualisierung und Dokumentation. Das richtet sich gegen einen Idealismus in der heutigen Ausstellungspraxis, wo die angebliche Reinheit des Werkes auf weißer Wand in einem gleichsam grenzenlosen Raum herausgestellt wird.“
Der Kurator lässt mit seinem historischen Blow Up der Ausstellungspraxis von damals eine Zeit mit ihren unterschiedlichen künstlerischen Strömungen von Avantgardisten und Traditionalisten wieder auferstehen. Das System verherrlichende Bilder in der Schau zur Zehn-Jahres-Feier des Marsches auf Rom 1932. Oder die abstrakten Skulpturen eines Fausto Melotti in Mailand 1936. Gruppen und Tendenzen vom Futurismus zur Scuola Romana, von den Valori Plastici zum Novecento, von den sogenannten Italiens de Paris zu den abstrakten Arbeiten der Corrente. Ein Pluralismus von Formen und Inhalten, der etwa zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland bereits im Keim erstickt worden war.
Politisierung der Kunst
Zugleich zeigte sich im Laufe der Jahre auch in Italien parallel zur Ästhetisierung der Politik eine Politisierung der Kunst und Architektur dort, wo sie Massenwirkung haben sollte. Mit Plakaten, die den Duce vergöttlichen. Oder mit monumentalen öffentlichen Gebäuden, während rationalistische Formansätze zurückgedrängt werden. Großflächig kommt die Freskenkunst an Gebäuden zum Einsatz, durch die zum Beispiel ein Mario Sironi die Welt der Arbeit oder des Landlebens verherrlicht. Die Daten der Zeitgeschichte liefern zwei große Infotafeln. Doch enthält sich die Ausstellung jeder Bewertung von Stilen und Inhalten. Das lehnte der Kurator als „moralistisch“ ab. Urteilen gehöre nicht zu seinen Aufgaben. Er sei Kunsthistoriker: „Ich dokumentiere die Zeit des Faschismus, ich urteile nicht über sie.“
Gewiss ist es wohltuend, dass hier der aufgeklärte und kritische Besucher gefordert wird. Aber sollte man gerade in einer Zeit, in der rückwärtsgewandtes Gedankengut in Italien wie anderswo wieder an Boden gewinnt, nicht dennoch eine Einordnung, eine Stellungnahme erwarten?
Die Ausstellung liefert hierfür gleichsam einen Epilog. Nach dem Sturz Mussolinis 1943 zeigen Karikaturen und Druckgrafiken oder malerische Arbeiten von Künstlern des Widerstands wie Afro Basaldella etwa die Gräuel des faschistischen Terrors und der deutschen Besatzungstruppen. Doch bleibt die dokumentarische Basis dieser künstlerischen Arbeiten einer politischen Opposition notwendig dünn gegenüber der gewaltigen Selbstdarstellung des Regimes.
Post Zang Tumb Tuum – Art Life Politics Italia 1918 -1943. Fondazione Prada, Mailand, bis 25. Juni. Geöffnet Mo bis Do 10 – 19 Uhr, Fr bis So 10 – 20 Uhr, Di geschl. Eintritt: 10 Euro.
Info: www.fondazioneprada.org
Dazu ist in englischer Sprache ein sehr informatives und umfassendes Katalogbuch erschienen, das Germano Celant (Mitarbeit: Chiara Costa) herausgegeben hat (659 Seiten, 90 Euro).
Der Deutschlandfunk (Kultur heute) hat am 19.2. einen Beitrag zum Thema gesendet