EIN KÜNSTLER IM RING


Dario Fo erzählt die Geschichte des deutschen Meisterboxers und Sinto Johann „Rukeli“ Trollmann, der im KZ ermordet wurde

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Ein Champion, der keiner sein darf- Illustration von Dario Fo

Mailand – Der Boxer Johann Trollmann war ein Star der frühen 1930-Jahre. Er tänzelte wie später Muhammend Ali seine Gegner leichtfüßig aus. Schwarze Haare und eine wie Bernstein getönte Haut machten den jugendlichen Helden zum Liebling der Frauen. Das Schicksal: Johann Trollmann, geboren 1907 in Niedersachsen, gehörte dem Volk der Sinti an. Die Nationalsozialisten erkannten dem „Zigeuner“ einen Titel als Deutscher Meister im Halbschwergewicht, den der Profiboxer im Juni 1933 errungen hatte, wieder ab. Sie entzogen ihm die Boxlizenz und zwangen „Rukeli“, wie er in Romani, der Sprache der Roma und Sinti, genannt wurde, zu einem erniedrigenden Schattendasein. Im Krieg kämpfte er als Soldat für Hitlerdeutschland an der Ostfront. 1942 wurde Trollmann verhaftet, kam in ein Konzentrationslager und starb 1943. Diese sehr deutsche Geschichte erzählt jetzt Dario Fo in seinem neuesten Buch „Razza di zingaro“ italienischen Lesern.

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„Der tanzende Boxer“

Der Mailänder Theatermann und Autor setzt so eine Reihe von Erzählungen über historische Personen fort, die als Außenseiter in Konflikt mit den gesellschaftlichen Verhältnisse gekommen waren. Dazu gehörten bislang Bände über Lucrezia Borgia („La figlia del Papa“) oder den Dänischen König Christian VII. („C’è un re pazzo in Danimarca“). Geschichten, die weit zurückliegen. Im neuen Buch widmet er sich einer Figur, die fast schon seiner Generation angehört.

Dario Fo, der im März 90 Jahre alt wird, erzählt das Leben von Rukeli liebevoll – übersetzt bedeutet der Name „kleiner Baum“ – von der Jugendzeit in Hannover an, wo der junge Sinto boxen lernt. Der Autor stützt sich dabei vor allem auf Recherchen von Paolo Cagna Ninchi, den Vorsitzenden der italienischen Kulturvereinigung „Upre Roma“. Cagna Ninchi hatte bereits das Buch „Leg dich Zigeuner. Die Geschichte von Johann Trollmann und Tull Harder“ von Roger Repplinger (Piper 2008) ins Italienische übersetzt.

Rukelis leichtfüßiger Boxstil, so Dario Fo, leite sich aus dem Kulturverhalten der Sinti ab. „Die Vorstellung vom Kampf war völlig anders. Gleichsam natürlich“, sagt der Autor über seinen Helden. Der sei ja mit den Riten seiner Leute aufgewachsen, mit ihren Tänzen, die Art, Pantomime zu benutzen, sich zu bewegen, zu singen. „Das“, so Fo, „finden wir in ihm als Künstler wieder. Ich würde ihn einen Künstler des Boxsports nennen.“

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Johann Trollmann Anfang der 1930er Jahre

Als „Arier“ geschminkt

Einer der auf diese Weise kulturell geprägt wird, ist nicht so leicht zu brechen. Noch in der Niederlage verhöhnt Rukeli die, die sich als Herrenmenschen aufspielen. Die Nazifunktionäre des Boxverbandes zwingen ihn nach dem Verlust der Meisterschaft zu einem weiteren Kampf und zu skandalösen Regeln. Er darf weder seine Schnelligkeit einsetzen noch seine Armlänge – der „arische“ Gegner ist erheblich kleiner – ausnutzen. Trollmann akzeptiert die Regeln und reagiert mit einem Theatercoup. Er pudert seinen Körper weiß und färbt sich die Haare blond. Praktisch ohne Gegenwehr lässt er sich als „Arier“ geschminkt verprügeln und fällt in der 5. Runde bewusstlos zu Boden.

Das Boxen wird ihm später im Außenlager Wittenberge des KZ Neuengamme zum Verhängnis. Ein Aufseher erkennt den früheren Champion. Man zwingt ihn zu Kämpfen mit Lagerinsassen. Zeugen erzählen, dass Rukeli dabei auch einen Kapo zu Boden schlägt, der ihn dann aus Rache umbringt. „Lungenentzündung“ steht als Todesursache im Lagerbuch . Mehrere Hunderttausend Roma und Sinti starben bei dem Völkermord in deutschen Konzentrationslager. Die genaue Zahl ist unbekannt. Porajmos („das Verschlingen“) lautet der entsprechende Begriff auf Romani.

Mit Illustrationen des Autors

Im deutschen Sprachraum wurde die Geschichte von Johann Trollmann Ende der 1990er Jahre bekannt. Der Deutsche Boxverband rehabilitierte ihn schließlich im Jahr 2003 und erkannte seine im Juni 1933 errungene Meisterschaft wieder an. Der Fall Trollmann wurde in mehreren Büchern und Theaterstücken (zuletzt in Wien 2015 „Der Boxer“ von Felix Mitterer) aufgerollt. Stephanie Bart veröffentlichte den Roman „Deutscher Meister“ (Hoffmann und Campe 2014). Das Kino und Fernsehen (NDR III) nahm sich der Geschichte im Dokudrama „Gibsy“ (2012) von Eike Besuden an. Dario Fo hat für seine Erzählung, wie bereits in den vorangegangenen Büchern, eigene Illustrationen hergestellt. Das ist seine Art, sich einem Thema zu nähern, das er dann mit einfachen, fast kindlich anmutenden Sätzen auch literarisch einkreist.Chiarelettere

Dario Fo: Razza di zingaro. Chiarelettere, Mailand. 176 Seiten, 16,90 Euro

Nachtrag: In der Kulturbeilage „Domenica“ de Il Sole 24 Ore  vom 17.1. findet sich eine Besprechung des Buches von Dario Fo zusammen mit dem Titel „Alla fine di ogni cosa“ , Roman von Mauro Garofalo (Frassinelli, Segrate. 260 S., 18,50 Euro), der ebenfalls von Johann Trollmann erzählt. Der Rezensent nennt „Am Ende aller Dinge“ des in Mailand lebenden Journalisten, Autors und Amateurboxers Garofalo (geboren 1974 in Rom) einen „Roman nach Art von Fitzgerald“, in dem der Protagonist kein Opfer der Geschichte, sondern ein Antiheld der Generation der Verlorenen sei. Geschichten, die wie karsische Gewässer lange im Dunkel verlaufen, brechen manchmal gleichzeitig an mehreren Stellen ans Licht.Frassinelli Editore