„EIN RIESENERFOLG“


Der italienische Verlegerverband feiert sein 150jähriges Jubiläum. Ein Gespräch mit Ricardo Franco Levi

© AIE

150 Jahre – und Blick nach vorn: Ricardo Franco Levi, Präsident der Associazione Italiana Editori

Mailand – Leseförderung durch einen Bonus für Jugendliche, die Debatte über ein neues Gesetz zur Buchpreisbindung und die Zusammenarbeit mit der Turiner Buchmesse sind Themen eines Gesprächs mit Ricardo Franco Levi, dem Präsidenten der Associazione Italiana Editori (AIE) aus Anlass der Gründung des italienischen Verlegerverbandes vor 150 Jahren.

Ricardo Franco Levi (70) ist Wirtschaftswissenschaftler, Journalist und war Pressesprecher von Romano Prodi als Präsident der EU-Kommission. Als Abgeordneter des Partito Democratico saß er im italienischen Parlament von 2006 – 2013. Er ist u.a. Mitglied im Aufsichtsrat des Universitätsverlag Egea (Mailand) und seit 2017 Präsident des italienischen Verlegerverbandes AIE. Der Verband wurde 1869 gegründet und schloss unter dem Namen „Associazione tipografica libraia italiana“ Verleger, Drucker und Buchhändler mit ein. Unter dem Faschismus wurde der Verband aufgelöst und durch eine „Federazione nazionale fascista italiana editori“ (FNFIE) ersetzt. 1946 kam es zur Wiedergründung unter dem aktuellen Namen AIE, wobei sich aber die Buchhändler in einem eigenen Verband, der Associazione Librai Italiani (ALI), zusammenschlossen.

150 Jahre AIE – Gründe um zurückzublicken gibt es sicher genug. Und die nach vorne?

Ricardo Franco Levi: „Wir sind acht Jahre nach der Einigung Italiens geboren. Die Geschichte der italienischen Verleger geht mit der Italiens einher. Aus Büchern, aus Lektüre hat sich die Gesellschaft geformt und die Identität dieses Landes entwickelt. Auch darum geht es bei der Feier jetzt zusammen mit dem Staatspräsidenten Sergio Mattarella. Aber natürlich geht der Blick ebenso nach vorne, er geht über die Landesgrenzen hinaus. Wir müssen unsere internationale Vernetzungen noch verstärken. Gelegenheit bildet etwa das Jahr 2021, wenn Italien Ehrengast der Pariser Messe ist. Aber mehr noch 2023, wenn wir nach 35 Jahren wieder Gastland auf der Buchmesse Frankfurt sein können.“

Vor 150 Jahren wurde eine Vereinigung aller am Buchmarkt beteiligten Berufszweige – Verleger, Händler und Drucker eingeschlossen – gegründet. Ist für Italien heute die Trennung etwa von Händlern und Verlegern in unterschiedlichen Verbänden hilfreich?

„Das ist ein Ergebnis unserer Nachkriegsgeschichte. Ich verhehle nicht, dass ich mir eine Vereinigung wünsche, so wie es sie etwa in Deutschland mit dem Börsenverein gibt. Aber der Weg wird lang sein.“

© ilfattoquotidiano.it

„Bildung als eine der Hauptaufgaben des Staates“ – Italiens Präsident Sergio Mattarella bei seiner Rede zur Feier von 150 Jahren Verlegerverband

Wie geht es dem italienischen Buchwesen?

„Das bildet mit einem Umsatz von rund drei Milliarden Euro im Jahr vor dem Kino oder dem Musikleben mit Abstand den größten kulturellen Wirtschaftszweig des Landes. Und den vierten in Europa. Aber nur sechs von zehn Italienern lesen wenigstens ein Buch im Jahr. Wir stützen uns immer noch auf die sogenannten starken Leser, die mindestens ein Buch im Monat lesen, das sind etwa 12 Prozent aller Italiener. Wir haben außerdem noch nicht wieder die Umsatzzahlen erreicht, die wir vor dem Krisenjahr 2011 hatten. Immerhin verzeichnen wir in der ersten Jahreshälfte 2019 ein leichtes Plus gegenüber der des Vorjahres.“

Es gibt Projekte zur Leseförderung, etwa die sogenannte App18. Da erhalten Achtzehnjährige einen staatlichen Bonus von 500 Euro. Geld, das für Kultur ausgegeben werden muss. Wie funktioniert das?

„Die italienische Regierung hatte vor drei Jahren diese App18 ins Leben gerufen. Jugendliche bekommen in dem Jahr, in dem sie 18 Jahre alt werden, vom Staat einen Voucher über 500 Euro, den sie frei für den Kauf von Büchern aber unter anderem auch für Musikträger, Eintritte in Kinos, Museen und für kulturelle Veranstaltungen nutzen können. Das ist ein Riesenerfolg.“

Und hat das dem Buchhandel etwas gebracht?

„Und wie! Im vergangenen Jahr 2018 hatten sich 417 Tausend Achtzehnjährige registrieren lassen. Bei einer Investition nach Abzügen von gesamt 192 Millionen Euro floss der größte Teil, rund 132 Millionen Euro, in den Buchmarkt. Das Problem ist nur, die App18 ist auf drei Jahre begrenzt, läuft also in diesem Jahr aus. Und bislang ist nicht klar, ob sie verlängert wird. Was natürlich die Buchwelt einmütig fordert.“

Sie waren früher selbst Parlamentsabgeordneter und hatten etwa 2011 das bislang gültige Gesetz zur Buchpreisbindung eingebracht, das als „legge Levi“ ihren Namen trägt. In Italien wird gerade ein neues Gesetzt im Parlament diskutiert. Worum geht es da?

„Das alte, noch gültige Gesetz wählt einen Mittelweg zwischen dem deutschen Modell einer absoluten Buchpreisbindung und dem englischen der größten Freiheit. Auf den vom Verleger festgelegten Buchpreis kann der Handel bis zu 15 Prozent Rabatt gewähren, bei Sonderaktionen 25 Prozent. Das neue Gesetz will neben anderen Themen grundsätzlich eine Obergrenze von maximal fünf Prozent Rabatt festlegen.“

Was der Verlegerverband kritisiert?

„Das Ziel, kleinere Verlage und unabhängige Buchhandlungen zu schützen, wenn man Bücher teurer macht, wird so nicht erreicht. Wenn das Gesetz heute bereits in Kraft wäre, müssten die Italiener rund 70 Millionen Euro im Jahr mehr ausgeben, um die selbe Anzahl Bücher zu kaufen, wie nach dem gültigen. Außerdem gibt es für Programme der Leseförderung im neuen Gesetz keine ausreichende finanzielle Deckung. Man muss jetzt die politische Entwicklung abwarten. Wir hoffen, auf dem Weg der Gesetzgebung im Senat noch Änderungen zu erreichen.“

Wie beurteilen Sie das gegenwärtige politisch-kulturelle Klima in Italien für die Buchkultur?

„Italien investiert im Vergleich mit anderen europäischen Ländern viel zu wenig in Kultur und Wissenschaft und hinkt im internationalen Vergleich weit hinterher. Wir fordern mit großer Entschiedenheit, dass der Ausbau und der Erhalt schulischer Einrichtungen, die Förderung von Bildung und Forschung einen Platz ganz oben auf der politischen Agenda bekommen.“

In den vergangenen Jahren gab es in Mailand, dem Sitz des Verlegerverbandes, den Versuch, eine Konkurrenzmesse zum Salone del Libro in Turin aufzubauen. Das wurde inzwischen abgebrochen. Herrscht wieder Frieden mit Turin?

„Wir haben in allen Bereichen Frieden mit Turin geschlossen. Das war eine meiner ersten Aufgaben, als ich Präsident des AIE wurde. In der italienischen Buchwelt ist kein Raum für solche Art Streit. In Mailand wird man eine neue Form für die Messe finden, Turin trägt die Verantwortung für die nationale Messe des italienischen Buches. Und in Rom wird die wichtigste Messe für kleinere und mittlere Verlage unter dem Namen „Più libri, più liberi“ veranstaltet. Eine Messe unseres Verlegerverbandes, auf die wir stolz sind. Und schließlich gibt es in Bologna die größte Messe der Welt für Kinder- und Jugendbücher. Zusammen sprechen wir über Möglichkeiten, regelmäßig auf Messen weltweit vertreten zu sein.“

Das Gespräch – in kürzerer Form veröffentlich im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel Nr. 35/2019 – wurde am 30. Juli 2019 in Mailand geführt (also vor der Umbildung der Regierung).

Hier die Rede von Staatspräsident Sergio Mattarella zur Feier des 150jährigen Jubiläums der AIE am 11.9.2019

Info AIE
Info „Più libri, più liberi“
Info Salone del Libro
Info Bologna Bookfair