DER STÖRENFRIED


Dario Fo ist tot. Der Komödiant, Autor, Maler und streitbare Intellektuelle starb in Mailand im Alter von 90 Jahren

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Dario Fo (1926 – 2016)  drei Wochen vor seinem Tod

Mailand – Dario Fo war ein unermüdlicher Komödiant. Noch vor drei Wochen lud der Literaturnobelpreisträger von 1997 Freunde und Journalisten in seine Wohnung, um sein neuestes Buch vorzustellen. Eine Art volkstümliche Biographie von Darwin mit dem Untertitel „Sind wir Affen väterlicher- oder mütterlicherseits?“ Und er war auch als Neunzigjähriger bereit, sich in öffentliche Debatten einzumischen. Ende August hatte ihm die Zeitschrift L’Espresso wegen seiner Unterstützung der Fünfsterne-Bewegung von Beppe Grillo eine vereinfachte Weltsicht und Populismus vorgeworfen. Stolz antwortete er in einem Artikel: Natürlich sei er ein Populist, im positiven Sinne ein Mann des Volkes. Er wollte sein Leben nichts anderes tun, als dem Volk Stimme zu geben. Dafür sei er ausgelacht, angegriffen, verfolgt worden.

Die Erzählschule am Lago Maggiore

Dario Fo hatte als Schauspieler und Autor das politische Volkstheater Italiens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend beeinflusst. Und er war ein Mann des Volkes. Fo kam 1926 in Sangiano bei Laveno auf die Welt und wuchs dort auf. Sein Vater sorgte als Bahnhofsvorsteher des Ortes am Lago Maggiore für den reibungslosen Zugverkehr nach Mailand. Dabei war die Haltestelle Sangiano so unbedeutend, wie sich Dario Fo erinnerte „dass die Lokomotivführer häufig vergaßen anzuhalten.“ Den Landstrich am Lago Maggiore unweit der Grenze zur Schweiz bevölkerten Fischer, Schmuggler aber auch Arbeiter einer nahen Glasfabrik. In den Gastwirtschaften, auf den Plätzen oder an der Mole gaben sich Geschichtenerzähler und Fabulierer ein Stelldichein. Von ihnen, wie von seinem Großvater mütterlicherseits in den Reisfeldern der Lomellina, lernte Dario Fo erste Schritte zum volkstümlichen Erzählen. In seinem Erinnerungsbuch Meine ersten sieben Jahre und ein paar dazu (2004) schreibt er: „In jener seltsamen Schmiede der Sprache und des Dialekts besuchte ich, ohne es mir damals klar zu machen, eine einzigartige Universität der Kommunikation.“ Hier sammelte er Erfahrungen, die es ihm erlaubten, zahllose Ausdrucksmuster und ungewöhnliche sprachliche Freiheiten zu nutzen.

Franca Rame 1960

Franca Rame 1960

Die kamen ihm zu Gute, als er 1951 Studien an der Mailänder Kunstakademie Brera (Bühnenbild) sowie am Polytechnikum (Architektur) abbrach und anfing, Sketche fürs Radio und fürs Theater zu schreiben und selbst aufzuführen. Bei den Arbeiten lernte Dario Fo die bezaubernde Schauspielerin Franca Rame kennen. Franca war in einer Familie des Wandertheaters groß geworden und hatte bereits von klein an auf der Bühne gestanden, die mal auf einer Piazza, mal in einem Kinosaal und mal in einem Vereinsgebäude aufgeschlagen wurde. Durch sie bekam Dario Fo Zugang zu einer volkstümlichen Dramaturgie und Schauspieltechnik, die er dann später meisterhaft ausweiten konnte. Die beiden bildeten bis zum Tod von Franca Rame 2013 eine außergewöhnliche Gemeinschaft, in der Leben zu Kunst und Kunst zu Leben wurde. Beziehungsprobleme trugen sie am liebsten auf der Bühne aus, etwa in dem Stück Offene Zweierbeziehung (1983).

Mistero buffo – ein Geniestreich

Mit dieser Frau an seiner Seite wagte sich Dario Fo in immer neue Theaterformen vor. Er mischte Boulevard mit Kabarett und Revue. Er trat auch im Fernsehen auf und politisierte sich. Seine grotesken Inszenierungen hielten der Gesellschaft einen gnadenlos lächerlichen Spiegel vor. In der sich heil wünschenden Welt des Wirtschaftsaufschwunges wurde er zu einem Störenfried, den man bald zensierte und etwa aus dem Fernsehen verbannte.

Daneben entwickelte er aus der Lautsprache des Gramelot ein eigenes Idiom, das er in der Szenenfolge Mistero buffo ab 1969 zur Meisterschaft führte. Diese Monologe verbanden religiöse oder kirchenhistorische Stoffe mit der Form des mittelalterlichen Spielmannstückes. Material bot auch Ruzante, ein volkstümlicher Autor der Theatergeschichte des frühen 16. Jahrhunderts aus Padua. Nach und nach wurde die Szenenfolge erweitert und verändert, so dass jede Aufführung gleichsam als Premiere wirkte. „Einen Geniestreich“ nannte sein deutscher Übersetzer Peter O. Chotjewitz den Mistero buffo, der aus dem gesamten Schaffen von Dario Fo herausragt. Wo später das Politische bis zu letzten Stücken wie Die Geschichte von Qu (2015) explizit ausgesprochen und manchmal sogar propagandistisch überhöht wurde, blieb es hier angedeutet und im gestischen Witz verkleidet im Hintergrund. Insofern kam Mistero buffo der Vorstellung eines modernen bürgerlichen Theaters nah, die dem Autor sonst fremd geblieben war.

Bered mit Mimik und Gestik - Dario Fo in den 1970er Jahren

Beredsam mit Mimik und Gestik – Dario Fo in den 1970er Jahren

Pasolini konnte ihn nicht ausstehen

Über 70 Stücke, Szenenfolgen, Sketche hatte er geschrieben, und die Lust zu fabulieren blieb bis ins Hohe Alter ungebrochen, auch wenn Augen und Ohren nicht mehr so recht wollten. Die Themen reichten von den Häuserkämpfen bis zum Drogenmissbrauch, vom Terrorismus in Italien bis zum Widerstand in Palästina. Zum Ritual einer Dario-Fo-Aufführung gehörte, dass vor dem eigentlich Stück der Autor auf die Bühne trat und eine oft kabarettistische, auf der Tagesaktualität fußende Einführung gab. Nicht nur politisch wurde er angefeindet. Pier Paolo Pasolini konnte ihn nicht ausstehen und nannte ihn „eine Pest des italienischen Theaters.“ Und als Dario Fo 1997 gar mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, stand das kulturelle Establishment in ganz Europa Kopf. Der Nobelpreis für einen Gaukler und Politclown, dessen Stücke ideologisch gefärbt sind, die auf immer neuen Pointen aufbauen, eigentlich nie ganz fertig sind, was sollte daran Literatur sein? Auch seine späten Arbeiten, etwa die Erzählungen über Lucrezia Borgia (2014) oder den von den Nazis verfolgten Meisterboxer und Sinti Johann Trollmann (2016) wollten sich nicht mit dem messen, was man landläufig unter „Hochkultur“ versteht. Ebenso nicht seine Gemälde, Zeichnungen, Skizzen.

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Skizze zu einer Arbeit über Molière

„Solange die Ideen kommen, muss ich einfach arbeiten“, lachte er bei einem Gespräch zu seinem 90. Geburtstag im März. Und zu den Texten kamen immer häufiger Gemälde, Zeichnungen, Skizzen. Vor wenigen Monaten war großes Interviewbuch mit dem Titel: Dario e Dio („Dario und Gott“) erschienen. Darin ist die Rede auch vom Tod.  Die Idee eines ewigen Lebens nach dem Tod ist ihm fremd. „Wir werden zu Staub, sagt mir der Verstand.“ Aber „die Phantasie, die Grille, die Torheit“ lassen bei einen Komödianten andere Visionen aufkommen: „Ich hoffe, ich werde überrascht.“

Der Tod des Bauern 

Ein eher unbekanntes aber dennoch grundlegendes Buch von Dario Fo trägt den Titel Kleines Handbuch des Schauspielers (1989). Es basiert auf einem sechstägigen Seminars mit Schauspielschülern am römischen Teatro Argentina. Am Ende erzählt er von einem kroatischen Mysterienspiel Der Tod des Bauerns. Nachdem sich die Trauergemeinde von dem Toten mit einem Fest rund um die Grablegung verabschiedet hat, wird theatralisch ein Baum auf das Grab „gepflanzt“. Die Wurzeln des Baumes, die Arme der Mitspieler, beginnen sich zu bewegen, und holen den Toten aus dem Grab, der schließlich auf dem Baum reitet. Ein Symbol für die ständige Anwesenheiten des Verstorbenen im Gedächtnis der Gemeinschaft. Das sei, schreibt Dario Fo „eine Art, über den Tod zu sprechen, die mich ergreift.“ Und die wohl nicht zufällig aus dem Volkstheater stammt.

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Abschied von Dario Fo – aufgebahrt im Piccolo Teatro

Dario Fo ist am Morgen des 13. Oktober in einem Mailänder Krankenhaus an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. An dem selben Tag, an dem bekannt wird, dass in diesem Jahr ein anderer Outlaw der Literaturgeschichte den Nobelpreis für Literatur erhält: Bob Dylan.

In kürzerer Form ist ein Beitrag in der Stuttgarter Zeitung am 14.10.2016 erschienen

Siehe u.a. auf Cluverius: „Wir waren nicht allein.“