EIN UNAUFHÖRLICH LAUTES SINGEN


Briefe aus der Quarantäne (4): Jetzt werden auch die Parkanlagen verschlossen – es bleiben nur noch die Balkons

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Gesperrt – Zugang zu den Giardini Pubblici „Indro Montanelli“

Mailand (14. März) – Sonnabend, der siebte Tag im Ausnahmezustand. Nun darf man auch nicht mehr in die Parkanlagen. Die, die umzäunt sind, werden geschlossen. Wie die Giardini Pubblici bei der Porta Venezia. Der erste öffentliche Park Mailands, auf Bestreben von Vizekönig Ferdinand Karl von Österreich-Este 1784 eröffnet. Zu weiterhin „habsburgischer Disziplin“ ermahnen die Verantwortlichen ihre demokratischen Untertanen heute. Eine große Mehrheit unter ihnen scheint sich den Regeln zu fügen.

Wie verhält man sich selbst? Verordnet wird der Verzicht auf Kino, Theater, Oper, Ausstellungen – und aufs Reisen. Alte Gewohnheiten, die Kaffeebar, die Buchhandlung, das Stöbern in Antiquariaten, sich mit Bekannten treffen – all das sei eine Gefahr für die eigene und damit für öffentliche Gesundheit und somit verboten. Eigenverantwortung ist gefragt. Die Tochter, die nicht mehr zu Besuch kommen darf, obgleich sie im Süden der Stadt wohnt, hat wohl den Keller aufgeräumt. Sie schickt per WhatsApp das Foto einer Bilderbuchseite von Erwin Moser: „Über der Erde braust der Sturm, / unter der Erde haust Herr Wurm. / Hat Äpfel, Kerze und Roman,/ womit ihn nichts erschüttern kann.“© Erwin Moser

Mutmacher gestern und heute

Die Welt wird langsamer, das eigene Leben auch. Man spielt länger mit den Katzen, nimmt sich mehr Zeit zum Kochen. Stöbert in Büchern, die man längst gelesen hat, obgleich auf dem Nachttisch die noch nicht gelesenen liegen. Zu den Altbekannten gehört dieser Tage Manzonis Promessi Sposi, der Roman liegt auf Deutsch in der schönen Übersetzung von Burkhart Kroeber („Die Brautleute“) vor.

Der Held Renzo, auf der Suche nach seiner geliebten Lucia, kommt nach Mailand, wo die Pest wütet. Am Rande des Lazaretts stößt er auf eine Art „trauriger Fröhlichkeit“, zum Beispiel „ein unaufhörlich lautes Singen“, das alle anderen Stimmen übertönt: „ein ländliches Liebeslied, fröhlich und scherzhaft, eines von jenen, die man villanelle nennt.“

Ein Sich-Mut-machen gehört auch zur Gegenwart, zum Beispiel wenn Leute auf dem Balkon singen oder ein Instrument spielen. Wie gestern, Freitag den 13., als sich ganz Italien um 18 Uhr verabredete. Die Nationalhymne („Fratelli  d’Italia – Brüder Italiens“) wurde gesungen oder Lieder in der Mundart der jeweiligen Region. Denn, schreibt Massimo Gramellini heute in seiner Rubrik im Corriere della Sera, die sich „Il Caffè“ nennt: „Es mag gelingen, einen Italiener zu isolieren, aber zum Schweigen bringt man ihn nicht.“

Ich gehe jetzt in die Küche und setze einen Caffè moka auf. Heute Nachmittag will man sich zum Beifallklatschen auf dem Balkon verabreden. Doch davon erzählt der nächste Brief.

Wird fortgesetzt

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Ziemlich verlassen: unterwegs in der Metro – bei Kontrollen muss ein Grund für die Fahrt angegeben werden