Turin.Der neapolitanische Schriftsteller Erri De Luca wurde am Montag Mittag in Turin von der Anklage des Aufrufs zu einer strafbaren Handlung freigesprochen. In einem Interview mit der italienischen Ausgabe der „Huffington Post“ über den Bau der umstrittenen Hochgeschwindigkeitsstrecke (TAV) durch Alpentäler zwischen Turin und Lyon hatte De Luca im Jahr 2013 erklärt, die TAV gehöre, auch unter Einsatz von Drahtscheren, „sabotiert“. Die Baugesellschaft erstattete daraufhin Strafanzeige. Anfang dieses Jahres wurde dann der Prozess eröffnet. Die Turiner Staatsanwaltschaft sah einen direkten Zusammenhang zwischen dem Aufruf des Schriftstellers zur Sabotage und teilweise gewaltsamen Demonstrationen einiger anarchistischer Protestgruppen gegen den Bau der Eisenbahnstrecke. Dabei war es auch zu Angriffen auf Bauarbeiter sowie zu schwerer Sachbeschädigung gekommen. Die Anklage forderte eine Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von acht Monaten. Das Gericht entschied dagegen, es liege keine strafbare Handlung vor. Ein Begründung des Urteils steht noch aus.
Erri De Luca (Petrarcapreisträger 2010) berief sich zu seiner Verteidigung unter anderem in einer Streitschrift „Mein Wort dagegen“ (erschienen auf Deutsch im Graf Verlag, München) auf das Recht der freien Rede. Und darauf, dass das Wort „Sabotage“ im Italienischen neben der Bedeutung „materielle Schädigung“ auch den Sinn von „Behinderung“ und „Aufhalten“ habe. „Anstifter“ wolle er gerne sein – aber für den Widerstand und „eine neue Gerechtigkeit“. Den Urteilsspruch nannte er „eine gute Nachricht für das Land“. Doch er sei nicht freigesprochen, sondern „ein Unrecht“ sei verhindert worden. Und er wolle weiterhin „mit allen Mitteln des Wortschatzes“ für seine Überzeugungen kämpfen.
Klage über italienische Intellektuelle
Der 65jährige Schriftsteller dankte allen, die ihn in seinem Kampf um „die von der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit” unterstützt hätten. Er beklagte aber auch die (seiner Meinung nach) wenig solidarische Haltung vieler italienischer Intellektuellen. Unterstützung konnte er vor allem in Frankreich erfahren, wo die Zeitung Liberation einen Appell „Liberté pour Erri De Luca“ veröffentlicht und sich sogar Justizministerin Christiana Taubira für ihn eingesetzt hatte. In Italien waren es besonders der Feltrinelli Verlag und Autoren wie Roberto Saviano und Dario Fo, die ihm den Rücken stärkten. Die italienischen Medien begrüßten jetzt durchweg den Prozessausgang, kritisierten aber auch De Lucas nicht immer klare Abgrenzung von Terroristen. Die Staatsanwaltschaft will über eine mögliche Berufung entscheiden, wenn die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt.
(Siehe auch den Beitrag vom 28.1.2015)
Erstveröffentlichung in ähnlicher Form in der Neuen Zürcher Zeitung vom 21.10.2015