Venedig und der Caffè (2): Die Rolle der Serenissima in der europäischen Geschichte des Kaffees und ein Besuch der Torrefazione Girani, der ältesten Rösterei der Lagunenstadt, die noch im Handwerksmodus arbeitet.
Mailand/Venedig – Wo wurde in Europa wurde zum ersten Mal öffentlich Kaffee ausgeschenkt, in London oder Paris, in Amsterdam oder in Venedig? Das war in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und überall rufen die Lokalhistoriker „hier!“ Unumstritten ist, dass die Lagunenstadt mit ihren damals 150.000 Einwohnern bald alle in den Schatten stellte. Im 18. Jahrhundert zählte man pro 500 Einwohner eine „bottega del caffè“ (Verkaufsstelle mit Ausschank), davon 34 botteghe allein um den Markusplatz herum und 18 in einer einzigen Gasse, der Calle del Cafetier unweit der Rialto-Brücke.
Das Getränk, das von Äthiopien und dem Jemen aus über den arabischen Raum und die Türkei Europa überschwemmte, hatte gegenüber der heißen Schokolade, die etwa zur selben Zeit durch den Import aus Südamerika in Mode kam, zwei Vorteile. Es war leicht zuzubereiten – die Bohnen der Kaffeepflanze werden geröstet, gemahlen und „alla turca“ mit heißem Wasser aufgegossen – und es ist war vor allem preiswerter. Kaffee war anregend und hielt, anders als der Wein, lange wach und den Geist frisch. In Kaffeehäusern eroberte er die breite Gesellschaft und zog in bürgerliche Haushalte ein. Johann Sebastian Bach schrieb um 1734 sogar eine humorvolle Kaffeekantate (zum Beispiel hier).
Musik erklang dann im 19. Jahrhundert in den venezianischen Caffès, als das „Florian“ (gegründet bereits 1720 – siehe hier auf Cluverius) und das „Quadri“ am Markusplatz den Ton angaben. Kleinen Orchester spielten vor den Kaffeehäusern – ein Novum, das mit den Habsburgern, den neuen Herrscher von Venedig, den Weg von der Donau an die Lagune gefunden hatte. Und manchmal gab die k.u.k. Militärkapelle ein Stelldichein. Richard Wagner, der gerne am Markusplatz ein Restaurant besuchte, schrieb in seinen Erinnerungen:
„Mehrere Male wurde ich am Schluss der Mahlzeit durch das plötzliche Erklingen meiner Ouvertüren überrascht; ich wusste dann nicht, wenn ich vom Fenster des Restaurants aus mich dem Eindruck hingab, was berauschender auf mich wirkte: der unvergleichliche, prachtvoll erleuchtete, von unzähligen sich ergehenden Menschen erfüllte Platz oder die alles dieses wie in brausender Verklärung den Lüften zutragende Musik.“
Kaffee aus vieler Herren Länder
Wer in den Kaffeehäusern die angelieferten Bohnen nicht selber röstete, wurde von den vielen kleinen Röstereien versorgt, die es im ganzen Stadtgebiet gab. Heute ist auch in Italien der Kaffee mit Marken von Lavazza (Turin) bis Kimbo (Neapel), von Zanetti (Bologna) bis Illy (Triest) eine Industrie geworden, die Milliarden von Euro umsetzt – weltweit ist der Kaffee nach dem Öl (und den Drogen) die am meisten gehandelte Ware und wird in teilweise fabrikgroßen Anlagen produziert.
Venedig hat seine ehemalige Rolle als Einfallstor von Kaffee aus dem Orient nach Italien und Europa längst verloren. Bereits im 19. Jahrhundert überflügelte Triest als k.u.k. Handelszentrum und Brückenkopf an der Adria die Lagunenstadt. Inzwischen spielt auch Genua eine bedeutende Rolle beim Import von Kaffeebohnen nach Italien, die im Überseehandel aus der ganzen Welt kommen. Die Herkunftsgebiete mit dem Anbau der Hauptsorten Arabica und Robusta erstrecken sich von Lateinamerika über Zentralafrika bis nach Südasien in feuchtwarmen Zonen (etwa zwischen dem 25. Breitengrad im Norden und dem 25. im Süden). Wobei die etwas edlere Sorte Arabica, die 75 Prozent der Weltproduktion ausmacht, in höheren Lagen in der Regel zwischen 300 und 1200 Meter oder mehr angebaut wird. Und die verbleibenden 25 Prozent Robusta vor allem in Ebenen oder leicht hügeligem Gebiet geerntet werden. Wobei Robusta mehr Koffein enthält als die „feinere“ Arabica-Bohne. Doch Arabica ist nicht gleich Arabica. Das Aroma innerhalb einer Sorte variiert ja nach Anbaugebiet und dort wiederum nach Produzent. Und es findet schließlich durch die angemessene Röstung seine feste Ausformung, die sie dann in viele verschiedene Mischungen einbringen kann – wie es in Venedig die Familie Girani demonstriert.
Eine charismatische Persönlichkeit
Die Torrefazione Girani ist die heute älteste Rösterei der Lagunenstadt, die noch im Handwerksmodus arbeitet. Man findet den Familienbetrieb im Castello-Viertel am Campo della Bragora. Im kleinen Laden bedient Roberta Girani, Enkelin von Giuseppe „Bepi“ Girani, der die Rösterei 1928 gründete. Den Beruf hatte er zusammen mit Francesco Illy in Triest gelernt. Die beiden Freunde stellten dann ein eigens Unternehmen auf die Beine, doch bald trennten sich ihre Wege. Girani zog es zurück in seine Heimatstadt Venedig, wo er zunächst Nahe der Rialto-Brücke diesen kleinen, noch heute aktiven Handwerksbetrieb aufbaute, während Illy in Triest den Grundstock zum heutigen mittelständigen Unternehmen (1200 Beschäftigte, 460 Millionen Euro Umsatz im Jahr) legte. Der Großvater, so erzählt Roberta Girani, war eine charismatische Persönlichkeit voller Ideen auf den unterschiedlichsten Feldern. In den 1940er Jahren brachte er etwa als Trainer die Fußballmannschaft Venezia Calcio bis in die erste Liga (Serie A). Die grün-schwarzen Vereinsfarben fanden auch Eingang in das Logo von „Girani Caffè“.
Seine Tochter Gigliola führte dann die Torrefazione weiter, die nach wie vor als Großhandel hauptsächlich Bars und Kaffeehäuser in Venedig belieferte. Roberta und ihre Schwester Laura zogen schließlich mit der Rösterei hierher ins Castello-Viertel und öffneten 2013 auch den Laden für den Einzelverkauf. In großen Metallbehältern werden unterschiedliche Mischungen von Sorten und Anbaugebieten aufbewahrt. Das reicht von „super amabile“ bis „special fruttato“, von „extra forte“ bis „super aromatica“. Die Mischungen tragen klingende Namen wie Todaro, Fassina oder Rosina. Es gibt Kunden, die sich aus den angebotenen Mischungen eine ganz persönliche herstellen lassen.
Vorbei an prall mit Bohnen gefüllten Säcken aus Lateinamerika, Indien und Afrika führt ein schmaler, dunkler Gang zum Hinterzimmer, wo die Röstmaschine steht. Hier hat der Röstmeister Emanuele Andreoli das Sagen, der die alte „Vittoria“ aus den 1940er Jahren bedient – eine Röstmaschine, die früher mit Kohle und heute mit Gas betrieben wird. Gelegentlich gibt es Führungen, bei denen Emanuele Neugierige in die Kaffeekunde einführt. Wobei jede Torrefazione natürlich ihre besonderen Röst- und Mischungs-Rezepte hat, die nicht preisgegeben werden.
Und dann – endlich – kann man sich an die Zubereitung machen. Ursprünglich nutzte man zum Aufgießen die arabische Ibrik, im 19. Jahrhundert setzte sich besonders in Süditalien die „Napoletana“ mit einem System durch, das ursprünglich aus Frankreich kam: Unten ein Wasserbehälter, in der Mitte eine Filterkammer und oben der Kaffeebehälter. Wenn das Wasser kochte wurde das ganze einfach umgedreht und das heiße Wasser lief durch den Filter. In den 1930er Jahren entwickelte der Erfinder Alfonso Bialetti in Omenga am Ortsasee eine „Moka Express“, die bis heute in Italien den häuslichen Kaffeeritus prägt. Das Wasser im unteren Teil der Minimaschine wird zum Kochen gebracht, der Dampf drückt das Wasser durch einen Filter mit dem Kaffeepulver in den oberen Teil.
Eine Moka Express ist keine Espressokanne
Diese Methode hat nichts mit dem „Caffè Espresso“ zu tun, wie wir ihn heute in den Bars und Caffès kennen und lieben. Nach vielen Vorläufern entwickelte Achille Gaggia 1938 in Mailand den ersten Prototyp einer Espressomaschine, den er dann nach Kriegsende perfektionierte. Eine Maschine, bei der etwas über 90 Grad heißes Wasser mit künstlich erzeugtem Druck von rund 9 bar für 20 bis 25 Sekunden durch das Kaffeepulver gepresst wird. Am Ende bildet sich die typische „Coda“, eine leichte, blasige Creme-Schicht. Das Aroma entwickelt sich hier am besten, wenn die Kaffeemischung einen Anteil der derberen Sorte Robusta hat, die auch für die Creme „sorgt“.
Ganz entscheidend ist schließlich der Mahlvorgang – möglichst erst kurz vor der Aufbereitung des Kaffees, weil sich das Aroma in den ganzen Bohnen länger hält. Die Bohnen werden bei Girani wie anderswo auf Wunsch für den Kunden je nach Aufbereitungsart gemahlen – für die Mokakanne also anders als für die Espressomaschine, wiederum anders für die Napolitana oder einen Aufguss „alla turca“.
Das Wasser als letztes Geheimnis
Wie dann der Kaffee schmeckt, das hängt dann neben der passenden Mischung, der richtigen Mahlstruktur, der professionellen Maschine und dem Geschick des Barmannes zu guter Letzt auch noch von der Härte des Wassers ab. Neapel gilt als Geschmackshochburg für den Espresso. Das habe, so erklärt unser Röstmeister in Venedig, viel mit der Wasserqualität unterhalb des Vesuvs zu tun. Wie heißen noch mal die berühmten drei „c“ des caffè alla napoletana? „Caldo, calmo e in compagnia – heiß, ohne Hast und in Gesellschaft.“ Aber so Emanuele, „Geschmack ist auch Überzeugungssache.“ Und er selbst pocht natürlich auf Venedig, auf Caffè Girani. Von den neumodischen heimischen Espressomaschinen und dem umweltschädlichen Kapselverbrauch hält er nun gar nichts. Zuhause, so sein Tipp, lieber eine Bialetti-Moka – und dazu die passende Girani-Mischung.
Info Torrefazione Girani, Campo della Bragora, 3727 Castello, 30122 Venezia, Tel. +39 041721500, www.caffegirani.it
Siehe auf Cluverius: Venedig und der Caffè (1): Schwarzes Getränk