Heldinnen und Helden


Briefe aus der Quarantäne (5): Zwischen der Routine im Alltag und der dramatischen Lage in den Krankenhäusern

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Das Foto, das Italien bewegte: Krankenschwester in Cremona nach stundenlangem Einsatz

Mailand (16. März) – Montag, der neunte Tag im Ausnahmezustand. Sonnenschein. Langsam stellt sich eine Art Quarantäne-Routine ein. Im Bett morgens übers Handy den Deutschlandfunk hören. Dann duschen, anziehen während das Radio läuft, jetzt die Italiener, abwechselnd Radio Popolare und Rai tre. Raus an die frische Luft – noch nie war die Luft in Mailand so voller Duft, so morgenrein wie in diesen Tagen. Also durchatmen, Zeitung kaufen und mit Massimo, dem Kioskbesitzer, ein paar Worte wechseln. Zuhause der Caffè, den man so heiß wie möglich schlürft – dem Espresso der Bar nachtrauernd. Man wechselt das Zimmer, der Schreibtisch mahnt zur Disziplin.

Vittorio Gregotti, Architekt, 92 Jahre alt, ist tot. Einer von 252 Toten, die allein in der Lombardei in den letzten 24 Stunden gestorben sind. Zahlen, die auch schon zur Routine gehören. Man erschrickt über sich selbst.  Während die überwiegende Zahl der Bewohner der Stadt versucht, mit den neuen Regeln zu leben und einige die Angst vor dem Coronavirus hinter (meist unnützen) Atemmasken bannen möchten, gibt es eine Gruppe, die mit ihm kämpft: Ärzte und Ärztinnen, Pfleger und Pflegerinnen in den Krankenhäusern. Auch die Kassenärzte, die rund um die Uhr Telefontherapie leisten, die Helferinnen in den Praxen nicht zu vergessen.

Keine Plätze auf den Intensivstationen mehr

Am 1. März gab es 106 Fälle, die in der Lombardei mit Mitteln der Intensivmedizin behandelt werden mussten. Heute sind es 767 Fälle, 35 mehr als gestern. Wie viele werden es morgen, übermorgen, nächste Woche sein? Gar nicht zu reden von den rund 5000 Patienten in den Kliniken, bei denen der Krankheitsverlauf nicht ganz so dramatisch verläuft. In Orten wie Bergamo oder Brescia herrscht in Krankenhäusern bereits der Notstand.

Man hört von verzweifelten Anstrengungen die Betten in den Intensivstationen zu erhöhen. Die Intensivmedizin sei in Italien historisch ein Schwachpunkt, berichtet das Radio. Dringend werden Geräte für maschinelle Beatmung gebraucht. Die Region plant, einen 12 Tausend Quadratmeter großen Pavillon der Mailänder Messe zu einer Mega-Intensivstation umzugestalten. Darin sollen 20 Behandlungseinheiten mit je 30 Betten aufgebaut werden.

Beifall von den Balkons

Viele Ärztinnen und Ärzte leben von ihren Familien getrennt, um sie nicht Gefahr zu bringen. „Wir leben in einer Parallelwelt“, schreibt der Chefarzt für Lungenheilkunde des San-Giuseppe-Krankenhauses im Corriere della Sera. Die Zeitungen feiern die Helfer in den Krankhäusern als die Heldinnen und Helden der Nation. Gestern Mittag um 12 Uhr hatte sich Italien auf den Balkons verabredet, um sie zu beklatschen.

Die Repubblica berichtet, dass auch die Unterkünfte für Obdachlosen geschlossen wurden. Ein Clochard erzählt stolz, er habe einen Luxus-Platz zum Schlafen gefunden, vor dem Restaurant Cracco in der Galleria, „nach 23 Uhr lassen sie mich bleiben.“ Helfer ziehen nachts umher und verteilen Schlafsäcke, Decken – und warmes Essen. Zum Team gehört auch ein Arzt, der Fieber misst.

Glücklich das Land, das keine Helden braucht. Mailand, Italien braucht sie. Und die vielen Unbekannten, die der Stadt auch im Ausnahmezustand Alltag schenken, sie funktionieren lassen. Wasser, elektrische Energie, Müllabfuhr. Nicht zu vergessen der Supermarkt, die Bäckerei, die Apotheke . Kusum, die Hausmeisterin unseres Palazzos, die aus Sri Lanka stammt, und morgens den Fußweg sauber hält. Vor meinem Fenster hält gerade ein Tankwagen, Schläuche werden ausgerollt, um das Nachbarhaus mit Heizöl zu versorgen. Die Arbeiter tragen Mundschutz.

Wird fortgesetzt