Die Biennale Foto/Industria in Bologna denkt über die Beziehung von Mensch, Maschine und Arbeit nach. Zu entdecken (oder wieder zu treffen) sind 14 Fotografen aus drei Erdteilen, ungewöhnliche Ausstellungsorte sowie eine private Kulturstiftung.
Bologna (Fondazione MAST und an anderen Orten bis 19.11.) – Zum dritten Mal wird in Bologna eine Biennale über Fotografie aus Industrie und Arbeitswelt veranstaltet. Zu sehen sind Ausstellungen von 14 Fotografen aus Europa, Amerika und Asien. Ihre Arbeiten werden an unterschiedlichen Orten der Innenstadt sowie in der Foto Gallery der Fondazione MAST präsentiert. Dabei mischen sich Sparten, Zeiten und Herangehensweisen. Der Bogen reicht von einem unbekannten Fotografen, der mit einer Reportage im Jahr 1917 die rasante Entwicklung des Industriestädtchens Lynch im Kohlegebiet von Kentucky dokumentiert, bis zum Italiener Carlo Valsecchi, der mit extrem strukturierten Bildern den Aufbau einer neuen Fabrik von Philip Morris 2016 bei Bologna begeleitet. Vom Amerikaner Lee Friedlander, der 1986 in Bosten Menschen an ihren Arbeitsplätzen beobachtet hat, bis zum Schweden Mårten Lange, der 2007 hochtechnologischen Maschinen der Nuklearforschung eine ganz poetische Dimension gibt.
Foto/Industria, die bislang international einzige Fotobiennale zur Arbeitswelt, steht in diesem Jahr unter dem Motto „Identität und Illusion“. Fotografie spielt immer mit dem Schein der Dinge, ist ästhetisch auch dort, wo sie dokumentiert. Zugleich spiegelt sie das Leben am Arbeitsplatz oder in den Industriestandorten wider, zeigt Mitgefühl oder übt Kritik. Zum Beispiel legt Mitch Epstein (geboren 1952) unter dem Titel „American Power“ die Gewalt offen, mit der die American Electric Power Company den Ort Cheshire (Ohio) überrollt und verseucht hatte. Um die immensen Kosten der Bonifizierung zu umgehen, ließ das Unternehmen die Einwohner samt ihrer Häuser umsiedeln.
In den Lagern von Amazon und Ikea
Die Fotografien von Epstein, der seine Recherchen auch auf andere amerikanische Standorte zur Energiegewinnung ausgedehnt hat, gehören zur Walther Collection. Das ist eine Einrichtung des ehemaligen Investmentbankers Artur Walther aus Ulm, der seinen Job bei Goldman Sachs in New York an den Nagel gehängt hat und sich mit einer Familienstiftung um Fotografie in Architektur, Kunst und Design kümmert. Ausstellungsräume gibt es in Neu-Ulm/Burlafingen und in New York. Walther entdeckte übrigens auf einem Flohmarkt auch die Reportage über die Minenarbeiterstadt Lynch, die sich wie eine historische Kehrseite zu Mitch Epstein verhält.
Wie viele andere europäische Länder spielen Arbeitsfragen eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen Leben von Italien. Seit 2008 sind 3,5 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, und die Arbeitslosigkeit ist von 6,7, auf 11,9 Prozent gestiegen. Das hängt nicht nur mit der weltweiten Wirtschaftskrise, sondern auch mit der radikalen Veränderung in Produktion und Vertrieb (Automatisierung, Dienstleistungen) und der Zuwanderung von Emigranten zusammen. Der italienische Fotograf Michele Borzoni, geboren 1979, geht diesen Realitäten mit seinen Arbeiten nach. Dazu gehören Lager von Amazon oder Ikea, Aufnahmen aus Call Centern oder aus Unterkünften für Fremdarbeiter, die in Süditalien bei der Tomatenernte eingesetzt werden. Als Echo aus der Vergangenheit wirken da die Fotos von Altmeister Mimmo Jodice, geboren 1934, über Kinderarbeit in den Straßen Neapels der 1960er und 1970er Jahre.
Maschinen, die zu Skulpturen werden
Zu den Höhepunkten der Biennale zählen Ausstellungen, die zugleich Randbereiche markieren. Dem künstlerischen Leiter von Foto/Industria François Hébel (Fondation Cartier-Bresson, Paris) ist gelungen, aus dem breiten Œuvre des legendären Fotografen Josef Koudelka, geboren 1938 in Tschechien, Landschaftsaufnahmen mit Industriethemen zu filtern, darunter eine Aufnahme der von Schneeflocken gesprenkelten Basis des Eiffelturms oder von der Probepiste auf dem Dach der Fiatwerke von Lingotto (Turin).
Der Schweizer Urs Stahel, Kurator der Fondazione MAST, hat Arbeiten des Düsseldorfers Thomas Ruff, geboren 1958, zusammen gestellt. Maschinen werden bei Ruff zu Skulpturen, zu Körpern, die für Energie, Kraft aber ebenso für Arbeitsverhältnisse stehen.
Und es gibt es eine berühmte Reportage des Japaners Yukichi Watabe (1924 – 1993) zu sehen, der 1958 im Industriegebiet am Sembako See unweit der Stadt Mito die Arbeit der Kriminalpolizei zur Aufklärung eines Mordfalles begleiten konnte. An verschieden Standorten hatte man Teile einer zerstückelten Leiche gefunden. Dem Fotojournalisten ging es nicht um einen sensationellen Mord, sondern um die Geschichte seiner Aufklärung. Das sind Schwarzweiß-Fotos in der Ästhetik eines klassischen Krimis und zugleich ganz real.
Ein glänzender Bogen aus Stahl
Unmöglich alle 14 Ausstellungen von Foto/Industria 2017 zu erwähnen und zu würdigen (hier ein Überblick). Bei einem Besuch ist zugleich die Innenstadt Bologna mit Ausstellungseinrichtungen in historischen Palazzi, Bibliotheken oder Museen zu entdecken. Und die Kulturstiftung MAST, die diese Biennale ins Leben gerufen hat. Das ist eine Einrichtung der Unternehmerin Isabella Serganoli, die die Firmengruppe Coesia (Produktion von Verpackungsmaschinen) leitet. MAST steht für Manifattura di Arti, Sperimentazione e Technologia (Manufaktur von Kunst, Experimenten und Technologie). Dazu gehören neben Sozialeinrichtungen für die Mitarbeiter des Unternehmens eine Akademie, Ausbildungsstätten, ein Auditorium, eine Fotogallery und Ausstellungsräume.
Vor dem Sitz der MAST hat gerade der anglo-indische Künstler Anish Kapoor sein jüngstes Werk aufgestellt, einen glänzenden Bogen aus Stahl, in dem sich Stadtraum und Firmenanlagen, Kunst und Arbeit spiegeln. Dazu werden in einer kleine Ausstellung (bis 14. Januar) rund 50 Modelle und Entwürfe für Arbeiten des Künstlers gezeigt.
Biennale di Fotografia dell’Industria e del Lavoro. Fondazione MAST und andere Orte im Stadtzentrum von Bologna bis 19.11. Di- So 10 -19 Uhr, Eintritt frei. Katalog MAST/Electa (italienisch/englisch) 39 Euro
Info: www.fotoindustria.it