im Theater: fedeli d’Amore / Maryam


Das Teatro delle Albe aus Ravenna und zwei Gastspiele in Mailand. Eine Arbeit von Marco Martinelli und eine Vorlage von Luca Doninelli interpretiert jeweils von Ermanna Montanari.

© Enrico Fedrigoli/Teatro dell'Elfo

Bewegt und bewegend – Ermanna Montanari in „fedeli d’Amore“

Mailand (Teatro dell’Elfo/Teatro Oscar) – fedeli d’Amore („Gläubiger der Liebe“) ist ein „Polyptichon“, wie es der Autor und Regisseur Marco Martinelli nennt. Sieben Szenen, die sich um die letzten Stunden von Dante Alighieri drehen, um seine Phantasien, Ängste oder die Tochter Antonia, die zum letzten Abschied an sein Bett tritt: „Padre, sono qui, mi senti? – Vater, ich bin hier, hörst Du mich?“. Der florentinische Dichter, die (über)große Vaterfigur der italienischen Literatur, starb an einem nebligen Septembermorgen 1321 im Exil in Ravenna. Martinelli schafft im Rückgriff auf den romagnolischen Dialekt, dem Dialekt der Stadt Ravenna, Monologe von poetischer Kraft, denen Ermanna Montanari mit ihren Stimmvariationen szenischen Raum gibt, der musikalisch mit Dissonanzen noch geweitet wird. Zu den aufgefalteten Bildern des Polyptichon gehört auch eine Vision Dantes, die sich von der Zersplitterung Italiens aus der Zeit der Stadtrepubliken in die Gegenwart weitet – ein Italien, „che scalcia se stessa“, das sich laufend selbst ein Bein stellt.

Maria, die Mutter Jesu, wird im Koran Maryam genannt. Der Mailänder Schriftsteller Luca Doninelli erlebte bei einem Besuch der Verkündigungsbasilika von Nazareth eine Reihe von Muslimfrauen, die die Madonna verehrten. Maryam, so lernte er, ist eine zentrale Figur für die Kultur des Islams. So schrieb er drei Gebete, in denen Frauen aus Palästina der Mutter des Gottessohn ihr Leid klagen. Schmerzvolle Schilderungen über die Rolle der Frau, über den Tod von Brüdern und Ehemännern in gegenwärtigen Zeitläufen voller Hass und Ungerechtigkeiten. Auf der Bühne gibt Ermanna Montanari diesen Klagen eindrucksvoll Sprache. Am Ende tritt sie als Maryam auf, Mutter aller Mütter, in der Lage, das Leid zu teilen.

Das Alter der Rose

Das Teatro delle Albe – das „Theater der Morgendämmerungen“ – haben  Marco Martinelli und Ermanna Montanari zusammen anderen 1983 in Ravenna gegründet. Es gehört „zu den fruchtbarsten Theaterexperimenten Italiens“. So Peter Kammerer in seinem Nachwort zu dem von ihm ins Deutsche übertragene Manifest Martinellis Raumwerden – Ein Traum vom Theater in 101 Bewegungen, das gerade im Berliner Alexander Verlag erschienen ist. In der zweiten Bewegung heißt es: „ich spreche vom Theater wie von einer Kunst, die immer noch Kind ist: Was sind zweieinhalb Jahrtausende im Vergleich mit dem Alter der Menschheit? Die Rose ist 25 Millionen Jahre alt.“ Sie immer wieder zum Blühen zu bringen, ist das Ziel dieses außergewöhnlichen  „Theaterstammes in der roten Wüste Ravennas“ (Kammerer).

Wie weit gerade Marco Martinelli das Spannungsverhältnis und das sich Durchdringen von Vergangenheit und Gegenwart fruchtbar machen kann, zeigt seine biographisch geprägte Auseinandersetzung Nel nome die Dante („Im Namen Dantes“), die gerade im Verlag Ponte alle Grazie (Mailand) erschienen ist. Die Divina Commedia auf die Bühne zu bringen, ist ein Langzeitprojekt (Cantiere Dante) des Teatro delle Albe. Bislang sind Szenen zum „Inferno“ und zum „Purgatorio“ entstanden. Mit dem „Paradiso“ sollen  2021 alle drei Cantiche (Bücher) zusammen aufgeführt werden.

fedeli d’Amore. Polittico in sette quadri per Dante Alighieri. Von Marco Martinelli. Mit Ermanna Montanari. Konzeption und Regie: Marco Martinelli und Ermanna Montanari. Musik: Luigi Ceccarelli. Produktion: Teatro delle Albe/Ravenna Teatro (2018) in Zusammenarbeit mit dem Napoli Teatro Festival Italia 2018.

Maryam. Von Luca Doninelli. Mit Ermanna Montanari. Konzeption, Regie und Bühne: Marco Martinelli und Ermanna Montanari. Produktion: Teatro delle Albe/Ravenna Teatro (2017).

Gesehen im Teatro dell’Elfo am 14.12.2019 („fedeli d’Amore“) und um Teatro Oscar („Maryam“) am 19.12.2019.

Marco Martinelli: Raumwerden. Ein Traum vom Theater in 101 Bewegungen. Aus dem Italienischen von Peter Kammerer. Alexander Verlag, Berlin. 100 Seiten, 12 Euro

Marco Martinelli: Nel nome di Dante. Diventare grandi con la Divina Commedia. Ponte alle Grazie/Adriano Salani Editore, Mailand (2019). 155 pagine, 14 Euro