Venedig, Mitte Januar 2016 – Nach der Festtagszeit, bevor die Karnevalswochen beginnen, atmet Venedig ein paar Tage durch. Durch engste Gassen kommen die Einwohner nicht nur früh morgens schnellen Schritts voran. Die Wollmützen weit über die Ohren gezogen. Auf den Vaporetti gibt es freie Sitzplätze. Mittags kann man auf den Bänken des Campo Santa Margherita den Sonnenschein genießen, der für kurze Zeit die kalte Jahreszeit vergessen lässt. Die Lokalpresse diskutiert über Sicherheitsmaßnahmen für den Karneval – Köln hat auch hier viele verschreckt. Nachts, so ein anderes Thema, werden an der Piazzale Roma Decken an Obdachlose verteilt. Den Frieden in der Stadt nutzt auch eine kleine Menschengruppe, zwanzig bis dreißig Personen, die am Nachmittag über mehrere Stationen der Viertel San Marco, Castello und Cannaregio zieht. Der Kölner Künstler Gunter Demnig, auf dem Kopf einen Indiana Jones Hut, verlegt Stolpersteine. Sie erinnern an jüdische Mitbürger, die hier in ihren Wohnungen verhaftet wurden und nie mehr aus den Vernichtungslagern der Nazis zurück kamen. Der Historiker Romedio Schmitz-Esser vom Deutschen Studienzentrum Venedig, Mitveranstalter der Verlegung, liest laut die Namen der Opfer vor, die kein Grab aber jetzt wenigstens eine Erinnerungsstätte haben. Angehörige legen Blumen nieder. Der Bürgermeister spricht ein paar Worte. Rav Scialom Bahbout, der Rabbi der jüdischen Gemeinde, beklagt Indifferenz gestern wie heute. Und warnt vor der Gefahr einer neuen Intoleranz. Als es schon Dunkel ist, klopft Demnig die letzten Steine vor einem Haus im ehemaligen Ghetto fest. Am späteren Abend dann, auf einsamen Wegen von einer Osteria zur Unterkunft, hat eine stille Kälte die Stadt im Griff. Kurz unterbrochen von Stimmen irgendwo, wie von Leuten, die lachend ein Lokal verlassen. Und dem Ruf einer im Schlaf aufgeschreckten Möwe.