Italien vor der Wahl: Kultur bleibt für die Politik belanglos. Debatten führen, wenn überhaupt, nur Insider. Der Rest ist Stimmungsmache (gegen Ausländer und Randgruppen)
Mailand/Rom – Am 4. März wird in Italien ein neues Parlament gewählt, gleichzeitig finden Landtagswahlen in der Lombardei, der größten Region des Landes statt. Der Wahlkampf war jedoch nur schleppend in Gang gekommen. Wochenlang hatten sich Parteien vor allem intern gestritten und um die Besetzung von Listenplätzen und Wahlkreisen mit aussichtsreichen Direktmandaten gefeilscht. Inzwischen haben populistische Kampagnen inhaltlich Debatten völlig übertönt. Kulturthemen wie die Finanzierung und Ausrichtung der Museen, Förderung der Lesekultur, Unterstützung von Theater und Kino gingen nicht nur unter, sie wurden nicht einmal mehr gestellt.
Ein Mordfall ereifert dagegen das Land. In Macerata (Kreisstadt in der Region Marken) wurde ein junge Drogensüchtige aus Rom vermutlich von Nigerianern brutal ermordet und ihr Körper zerstückelt. Darauf eröffnete ein durchgeknallter Anhänger faschistischer Ideen in der Stadt mit einer Schusswaffe das Feuer auf eine Gruppe von Ausländern (Männer, Frauen, Kinder) und verletzte mehrere von ihnen schwer. Während Rechtsgruppen in Macerata und Politiker im Land sich mit dem von der Polizei verhafteten Schützen solidarisierten, demonstrierten in der Stadt wie in vielen anderen Orten Italiens Zehntausende gegen einen „neuen Faschismus“.
Nur zweimal spielten Kulturthemen in den Medien kurz eine Rolle. Die Spitzenkandidatin der Partei der extremen Rechten (FDI), Giorgia Meloni, zog protestierend vor das Museo Egizio in Turin. Wenn nämlich zwei arabisch sprechende Besucher als Paar an die Kasse des Museums kommen, bietet das Haus bereits im zweiten Jahr einem der beiden einen Gratiseintritt. Das aber sei „Rassismus gegen Italiener“ tönte es aus dem Megafon von Frau Meloni.
Jagd auf Museumsdirektoren
Es nützte wenig, dass der 42jährige Archäologe Christian Greco, der das Museum seit vier Jahren schwungvoll leitet, der Politikerin die vielen Erleichterungen (Familien, Jugendliche, Gruppen, Rentner) erklärte, die es für alle – und damit vor allem italienische – Besucher gibt. Und sie nach einem Gespräch auf der Straße einlud, die ägyptische Sammlung, eine der wichtigsten in Europa, zu besuchen. Frau Meloni lehnte dankend ab. Wenig später drohte der Pressesprecher der Rechtsaußenpartei damit, dass nach einem Wahlsieg, alle jüngst vom Kulturministerium „aus ideologischen Gründen“ besetzten Museumsdirektoren durch Kräfte ersetzt würden, die allein durch Leistung qualifiziert seien.
Beim anderen Mal ging es um den juristischen Streit wegen der Besetzung von wichtigen staatlichen Museen unter anderem auch mit Persönlichkeiten aus dem Ausland. Der schien mit verschiedenen Urteilen einzelner Kammern des Staatsrates im Sinne der neuen Praxis des Kulturministeriums längst ausgestanden (siehe hier auf Cluverius ). Doch jetzt hat eine weitere Kammer im Fall der Berufung des Österreichers Peter Assmann an den Palazzo Ducale von Mantua „juristische Widersprüche“ erkennen wollen und eine Entscheidung der Vollversammlung des Staatsrates eingefordert.
Franceschini in der Defensive
Kulturminister Dario Franceschini von dem Partito Democratico, der die Reform der Verwaltung der staatlichen Museen gerne auf der Habenseite seiner Amtszeit verbuchen möchte, sah sich zumindest für 24 Stunden medial in der Defensive. Doch bald war das Thema wieder vergessen. Denn wann das Gremium des Staatsrates zusammen treten will, weiß erst mal keiner zu sagen.
Kurz zuvor hatte es immerhin im Privatsender La7 bei einer Talkshow mit der auch in Deutschland bekannten Südtiroler Journalistin Lilli Gruber einen Schlagabtausch über Kulturthemen gegeben. Da saßen sich zwei Insider gegenüber. Der Schriftsteller und Kulturminister Dario Franceschini, der auch für den Tourismus zuständig ist, und sein schärfster Kritiker Tomaso Montanari. Der Kunsthistoriker, Universitätsdozent und Zeitungskommentator von „la Repubblica“ wird der extremen Linken zugerechnet, er hat aber auch Sympathien für die Fünf-Sterne-Bewegung gezeigt. Montanari nannte den Minister der Kulturgüter einen „Minister der Kulturverfehlungen“. Angefangen bei den großen Museen und Ausgrabungsstätten, bei denen es nur noch um Besucherzahlen ginge wie beim Fernsehen um Einschaltquoten. Qualität und Wissenschaft würden keine Rolle spielen, die Macht der Denkmalschutzämter werde Mal um Mal beschnitten. Kultur sei Aufgabe des Staates und dürfe nicht in die Hände von Privatunternehmer fallen.
Die Rolle des Staates – und der Privaten
Qualität und Wissenschaft, so konterte der Minister, sei nur durch Autonomie der Einrichtungen garantiert und nicht durch Staatsbürokratie. Und Museen seien nicht allein für Universitätsprofessoren und wenige Kenner da, sondern müssen allen offen stehen. Der Minister sieht auch für die Zukunft eine Strategie erfolgreich, die Kultur durch staatliche Aufsicht zu schützen und zu fördern, Finanzierung und Innovation aber durch private Beteiligungen zu garantieren. Was Montanari ein Gräuel ist – etwa eine Modenschau in einem Museum für alten Kunst – , ist Franceschini willkommen, solange die einzelnen Werke nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. So ging es bei Lilli Gruber munter hin und her, doch hat überhaupt jemand zugehört?
Wenn diese Themen aus den Stuben der Insider nicht auf den Marktplatz der Politik Gehör finden, welche Themen herrschen dann vor? Der 81jährige Politopa Silvio Berlusconi, der wegen seiner Vorstrafen persönlich gar nicht wählbar ist, hat aber dennoch mit Hilfe seiner Medien die Meinungsführerschaft an sich gerissen. Seine Rechtskoalition mit den Gestrigen aller Schattierungen – von der Lega bis zu Exfaschisten – suggeriert einfache Lösungen: runter mit der Steuer, rauf mit den Renten raus mit den Ausländern. Umfragen sehen die Rechtskoalitionäre vorn. Gleich gefolgt von dem Movimento Cinque Stelle (M5S), der als Einzelpartei sogar stärkste Kraft werden könnte.
Auf dem absoluten Niedrigstand
Die Fünf-Sterne-Bewegung, einst als antikonformistische Strömung von dem Kabarettisten Beppe Grillo gegründet, hat ihre ursprünglich inhaltlich belebende Wirkung in der politischen Szene verloren. Der Gründer hat sich weitgehend zurück gezogen und eine Partei hinterlassen, die ganz auf antipolitische Stimmungsmache bei denen setzt, die sich von den traditionellen Gruppen und vor allem von den Eliten verraten und verhöhnt fühlen. Die Wahlversprechen der Bewegung unterscheiden sich nur in Nuancen von denen der Rechtspopulisten. Bei vielen Wählern kommt so etwas an. Andere wiederum wollen gar nicht erst zur Wahl gehen. Die Wahlbeteiligung droht auf einen absoluten Niedrigsstand zu sinken.
Die Sozialdemokraten des Partito Democratico (PD) des früheren Ministerpräsidenten Matteo Renzi, die zuletzt unter dem blassen aber grundehrlichen Paolo Gentiloni weiterhin an der Regierung waren, haben sich in bei innerparteilichen Grabenkämpfen in mehrere Parteien zerrissen. Und traten sogar bei den antifaschistischen Demonstrationen nach den Vorfällen von Macerata getrennt an. Während die rechten Gruppierungen sich zwar gegenseitig angiften, aber in ihrer Koalition zusammen halten, haben Linke und linke Mitte sich auseinander gelebt und treten in verschiedenen Koalitionen entzweit an. Weil das neue Wahlgesetz aber Koalitionen bevorzugt, wird es der PD als Partei nur wenig nützen, aus der Wahl als zweitstärkste Einzelkraft hinter den favorisierten M5S hervorzugehen.
Eine Groko all’italiana?
Die Fünf-Sterne-Bewegung will – bislang jedenfalls – nur allein regieren, was ihr nicht gelingen wird. Wenn deshalb die Rechtskoalition nicht die absolute Mehrheit der Sitze erreicht, wird es in Italien ähnlich wie in Deutschland Probleme geben, eine Regierungsmehrheit zu zimmern. Schon wird gemunkelt, dass dann Berlusconis Forza Italia mit Renzis PD eine Art „große Koalition“ eingehen könnte. Und nur in solch einer „Groko all’italiana“ wäre wieder Platz für einen Kulturminister Franceschini. Aber vermutlich werden sich Tomaso Montanari und alle Kulturpuristen von links wie rechts auf einen neuen „Minister der Kulturverfehlungen“ einstellen müssen.