KORRUPT SIND WIR ALLE


Eine Neuinszenierung der Dreigroschenoper am Piccolo Teatro

copyright Pasquali/Piccolo Teatro

Aufmarsch der Armen oder der Flüchtlinge? – Eine ganz gegenwärtige „0pera da tre soldi“ . Vor dem Gitter „Brecht“ als Moritatensänger.

Mailand – Am Anfang hat Mackie Messer schon die Schlinge um den Hals. Die Inszenierung der Dreigroschenoper am Mailänder Piccolo Teatro zieht das Stück von hinten auf. Das Urteil ist gesprochen, Mackie muss hängen. Wie in einer Rückblende entwickelt sich dann die Geschichte bei einem Gerichtsprozess, den sich Regisseur Damiano Michieletto als erzählerischen Rahmen erdacht hat, in den die einzelnen Szenen und Songs mit der Musik von Kurt Weill eingebettet sind. Ort der Handlung ist ein vergitterter Gerichtssaal. Verräterischen Huren, korrupte Polizisten, verbrecherische Unternehmer sitzen, soweit sie nicht in die Handlung eingebunden sind, auf der Bank der Geschworenen. In einer Welt, die gut sein möchte, es aber nicht kann – denn „die Verhältnisse, sie sind nicht so“ – gehen die Sphären der Justiz und des Verbrechens ineinander über.

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Mackie (Marco Foschi) und seine verräterischen Gespielinnen

Das Thema Korruption, das Italien ja nicht fremd ist, steht für Damiano Michieletto im Mittelpunkt seiner Inszenierung. Und die von Peachum organisierten Hungrigen spielen mit Schwimmwesten ausgestattet deutlich an Flüchtlingsbewegungen an, die übers Mittelmeer nach Europa drängen und rebellieren, wenn sie nicht eingelassen werden. In der alten „Beggar’s Opera“ von John Gay, aus der Bertolt Brecht und seine Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann das Stück entwickelt hatten, ist die Handlung im 18. Jahrhundert angesiedelt. Brecht hatte sie bei der Berliner Uraufführung der Dreigroschenoper 1928 ins viktorianische London des späten 19. Jahrhunderts verlegt. Jetzt sind wir in der Gegenwart angekommen (Zum Trailer auf dem Web-TV des Piccolo: hier)

Nicht alle Darsteller können überzeugen

Entsprechend sind die stilistischen Mittel von heute. Comedy ersetzt zumindest streckenweise expressionistisches Kabarett, auf einer elektronischen Anzeige läuft der Countdown zur Hinrichtung und gelegentlich friert die Handlung ein, wie in einem Video, das still steht. Eigentlich fehlen nur noch Handys. Mediengerecht ist der Part der Jenny mit Almodóvars glänzend agierender Muse Rossy De Palma besetzt, während für die anderen Rollen bewusst Schauspieler, die auch singen, und nicht Sänger, die auch schauspielern ausgewählt wurden, von denen jedoch nicht alle überzeugen können. Marco Foschi etwa bleibt als Mackie so blass wie Maria Roveran als Polly, wohingegen Peppe Servillo einen prächtigen Peachum abgibt.

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Mackie und Jenny (Rossy De Palma)

Der Moritatensänger, der immer wieder in die Handlung eingereift, indem er von anderen Songtexte übernimmt, tritt rauchend in einem Outfit auf, das an Brecht selber erinnert. Michieletto, der sich so Brecht gleichsam als Zeugen der Inszenierung auf die Bühne holt, kümmert sich allerdings wenig um die Anmerkungen des Autors zum Stück. Am Ende verzichtet er auch auf den reitenden Boten, der die Nachricht von der Amnestie überbringt und Mackies Kopf rettet. Der Bote kommt zu Fuß mit einem Aktenkoffer voller Geld, der über allen Beteiligten ausgeschüttet wird, denn korrupt sind wir alle, das Publikum eingeschlossen.

Unbeeindruckt von der Tradition

1956 hatte Giorgio Strehler zum ersten Mal die Dreigroschenoper am Piccolo (und in Italien) inszeniert. Brecht kam kurz vor seinem Tod nach Mailand zu den Proben und war begeistert (siehe den Beitrag auf Cluverius „Brecht und das Piccolo“). Der vierzigjährige Damiano Michieletto hatte bereits bei anderen, teilweise umstrittenen Opern- und Theaterinszenierungen in Italien und Europa wie zuletzt bei Mascagnis „Cavalleria rusticana“ in London deutlich gemacht, dass er wenig von Tradition hält. Ihm kommt es darauf an, so sagt er, „eine Arbeit der Vergangenheit für ein Publikum von heute in die Gegenwart zu führen.“ So zeigt er sich auch unbeeindruckt von der Erinnerung an die Inszenierung der Dreigroschenoper vor 60 Jahren, als er noch gar nicht geboren war. Weil er die von Strehler bearbeitete Übersetzung des Stückes für unzeitgemäß hielt, hat er es von Roberto Menin neu ins Italienische übertragen lassen. Und die Übersetzung der Songs nahm der Regisseur, der Deutsch spricht, sogar selbst vor. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral? Angesichts globaler Armut lautet jetzt die berühmte Sentenz (zurück übersetzt) ganz cool: „Wenn der Mensch hungert, dann rebelliert er.“Layout 1

L’opera da tre soldi. Piccolo Teatro bis 11.6.

 

Zusammen mit „Alle meine Stücke“ (Brecht und das Piccolo Teatro) würde dieser Text in kürzerer Form in der Süddeutschen Zeitung vom 9.Juni veröffentlicht