KULTUR KOMMT IN MODE


Rem Koolhaas hat in Mailand für die Fondazione Prada eine ehemalige Industrieanlage eindrucksvoll umgebaut

Copyright: Fondazione Prada

Ein goldenes Haus hinter alten Mauern – Prada trägt Kultur

Mailand: Hellgraue Außenmauern einer typischen Industriearchitektur vom Anfang des 20. Jahrhunderts umziehen ein etwa zwei Hektar großes Areal im Süden Mailand. Hier und da werden sie von Fenstern durchbrochen. Elegant zurückhaltend leuchtet der Name des Hausherren in dünner Neonschrift neben dem Einfahrtstor an einer sonst eher gesichtslosen Straße: Fondazione Prada. Mehrere Baukörper ragen heraus, alte wie neue, darunter ein geheimnisvoll goldglänzendes Haus. Wenn man die Anlage der Kulturstiftung am Largo Isarco betritt, glaubt man sich in einer kleinen Stadt mit gepflasterten Wegen, Höfen und Plätzen. Im Hintergrund wächst ein weißer Turm 60 Meter in die Höhe, der einzige Teil des Komplexes, der noch im Bau ist.

Das niederländische Architekturstudio OMA hat unter der Leitung von Rem Koolhaas für Prada die ehemalige Fabrikationsanlage einer Groß-Destillerie umgebaut. „Wir haben nicht die Gegensätze betont“, erläutert der Architekt bei einem Rundgang. Er und seine Mitarbeiter haben vielmehr versucht, Situationen zu schaffen, „in denen alt wie neu zusammen stehen.“ Das gilt für Baukörper ebenso wie für die Materialien von typisch lombardischen Backsteinen bis zu hochtechnologischen Wandstrukturen aus Aluminiumschaum, die silbergrau glitzern. Obgleich die Fabrikarchitektur nicht zu den Höhepunkten der Industriearchäologie Mailands gehöre, „haben wir Respekt zeigen wollen.“

Alt und Neu ergänzen sich
Viel von der alten Struktur der Destillerie wurde so erhalten und für neue Zwecke umgestaltet. In einem Außenflügel etwa die ehemaligen Stallungen der Brennerei, die vor gut hundert Jahren ihre hochprozentigen Waren noch mit Pferdefuhrwerken vertrieb. Heute zieht sich hier eine Flucht von Ausstellungsräumen hin. Aber Koolhaas hat für die Bedürfnisse der Auftraggeber auch Neues errichtet. Ein Kino etwa oder ein kleines Ausstellungshaus mit dem Namen „Podium“, das sich mit drei Glasfronten deutlich an der Neuen Nationalgalerie eines Mies van der Rohe in Berlin orientiert – und sich dennoch der Gesamtanlage zugehörig weiß. Alt und Neu ergänzen sich geschickt. Und manchmal weiß der Besucher nicht genau, ob er sich noch in einem alten oder schon in einem neuen Ambiente befindet. Diese „Art von Ähnlichkeiten“ zu schaffen, so Koolhaas, sei das Ziel beim Umbau gewesen.

Alle Gebäude sind nach Innen ausgerichtet. Bis auf den neunstöckigen weißen Turm (Fertigstellung Frühjahr 2016), in dem neben Ausstellungsräumen auch ein Dachrestaurant Platz finden soll. Der Turm wird als Signal nach außen in einem Viertel wahrgenommen werden, in dem sich die Erinnerung an Industriekultur mit neuen Arbeits- und Lebensräumen für unterschiedliche Bevölkerungsschichten bei einem hohen Anteil von Ausländern mischt.

Vom Kino zum Open-Air-Theater
Auf den Freiflächen der Anlage ist reichlich Platz für Veranstaltungen. Koolhaas nennt das Ganze einen „Campus“. Das Kino kann mit aufklappbaren Wänden leicht zu einem Open-Air-Theater umgestaltet werden. Eine Bar wurde von dem amerikanischen Regisseur und Produzenten Wes Anderson („Grand Budapest Hotel“) im Stil eines alten Mailänder Cafés eingerichtet. Eine Bibliothek soll folgen. Die 19 Tausend Quadratmeter Grundfläche des Areals bieten Raum für viele Aktivitäten. Zur Eröffnung wird jetzt bis zum August im Kino unter anderem ein von Roman Polanski konzipierter Dokumentarfilm gezeigt. Er analysiert Kinoarbeiten, die dem polnischen Filmemacher als Inspirationsquellen gedient haben. „Wir wollen schließlich kein Museum sein“, sagt die deutsche Projektmanagerin Astrid Welter, die die Programmabteilung der Fondazione Prada leitet. Man wolle sich „als eine sehr flexible und offene Struktur verstehen.“

Die Fondazione Prada wurde 1993 von der Modedesignerin Miuccia Prada, die gerade ihren 66. Geburtstag feiern konnte, und ihrem Ehemann Patrizio Bertelli (69) gegründet. Kunst kommt immer mehr in Mode. Auch Fendi, Trussardi, Gucci investieren in Sammlungen. Andere, wie Furla, schreiben Preise für Gegenwartskunst aus. Neue Ausstellungseinrichtungen entstehen. Vor wenigen Monaten konnte in Paris das Kunstzentrum der Vuitton-Stiftung, das nach Plänen von Frank O. Gehry errichtet wurde, seine Arbeit aufnehmen. Und jetzt zieht Prada, das bereits seit 2011 in Venedig den historischen Palazzo Ca’ Corner della Regina bespielt, in ganz großem Stil in Mailand nach.

Wobei Modehaus und Kulturstiftung streng von einander getrennt operieren. Das wäre sonst „eine Beleidigung für die Künstler“, sagte Patrizio Bertelli bei der Eröffnungskonferenz Anfang Mai. „Und für die Modeschöpferin auch“, konterte Miuccia Prada und hatte die Lacher auf ihrer Seite. Über die Kosten schweigen sich beide aus. Eigentlich sei es „Wahnsinn“, kommentierte Bertelli das kulturelles Engagement, aber schließlich hätten sich „Leidenschaft und Irrationalität“ durchgesetzt. Mit anderen Worten: Mag der Teufel Prada tragen, Prada trägt jetzt die Kultur.

Prada füllt eine Lücke im Kulturangebot der Stadt
Ausgangspunkt der Fondazione war eine große Sammlung von Werken der Gegenwartskunst mit Arbeiten von Dan Flavin bis Laurie Anderson, von Tobias Rehberger bis Steve McQueen. Exponate aus dieser Sammlung werden jetzt zusammen mit Leihgaben in zwei Flügeln der Anlage gezeigt. Die vielen verschiedenen Baukörper ermöglichen unterschiedliche Ausstellungszusammenhänge. So hat etwa im Kellerbereich des Kinos Thomas Demand seine Arbeit „Grotto“ über eine Tropfsteinhöhle als feste Installation eingerichtet. In einem ganz mit 14karätigem Blattgold überzogenen „Haunted House“, das wie ein Spukschloss aus der eher minimalistisch geprägten Anlage herausragt, haben Robert Gobert und Louise Bourgeois viel Raum für ihre Skulpturen. Und im Souterrain des ehemaligen Versorgungshauses („Cisterna“) sieht man unter anderem die Installation von Damien Hirst „Lost Love“: In einem Aquarium schwimmen lebende Fische um einen Gynäkologenstuhl.

Copyright: Fondazione Prada

Höchste Eleganz: Antike Welt in der Ausstellung „Serial Classic“ (Fotos: © Fondazione Prada)

Mit rund 11Tausend Quadratmeter reiner Ausstellungsfläche füllt Prada auch eine Lücke im Kulturangebot der Stadt, in dem bislang ein Museum der Gegenwartskunst fehlt, obgleich sich in Mailand die wichtigste und lebhafteste Galerieszene Italiens etabliert hat. Astrid Welter muss zugeben, dass Kunst ein zentrales Element der Kulturstiftung ist. Aber man habe sich auch für kulturelle Phänomene von philosophische Debatten bis zum Kino interessiert. „Wir möchten uns eigentlich gerne mit Literatur und mit Tanz oder Theater beschäftigen. Und für all das haben wir jetzt die Möglichkeiten hier.“

Rem Koolhaas sei Dank. Sein Architekturbüro hat mit hellgrauem Marmor aus dem Iran auch die elegante Einrichtung einer Ausstellung im „Podium“ entworfen, die in dem Prada-Ambiente überrascht, das sonst ganz der Gegenwart gewidmet ist. Der Kulturhistoriker Salvatore Settis beschäftigt sich an Hand wundervoller Exponate von 450 vor Christus bis zu Kopien von heute mit dem Seriencharakter antiker Statuen („Serial Classic“ bis 24.8.). „Einfach irre“, staunte eine Besucherin.

Die Fondazione Prada spannt auf spektakuläre Art weite Bogen. Man darf gespannt sein, ob sie auf Dauer in dieser wundervollen Anlage die Erwartungen einlösen kann, die sie so geweckt hat. Info: fondazioneprada.org

(Erstveröffentlichung in „Der Standard“ am 30. Juni 2015)