Massimo Montanari widmet sich mit „Spaghetti al pomodoro. Kurze Geschichte eines Mythos“ genussvoll der Kulturhistorie der Pasta
Mailand – Seit wann kocht man Pasta in Wasser (Genießer nehmen Brühe)? Welche Rolle spielt der Käse? Weich oder bissig – eine Frage der Zeitläufe ebenso wie das Essen mit der Gabel? Wie kam es zur Begegnung von Pasta und Tomate? Massimo Montanari geht in seinem wundervollen kleinen Buch Spaghetti al pomodoro. Kurze Geschichte eines Mythos den Spuren eines typischen italienischen Gerichts nach. Wobei er viele, für Pastaliebhaber überraschende historische Details ausbreitet. So, dass etwa in der Renaissancezeit Pasta über eine halbe Stunde „gar“ gekocht, dann in mehreren Schichten übereinander gelegt und dazwischen geriebener Käse, Zucker und Zimt gestreut und das ganze schließlich bedeckt im Ofen oder in heißer Asche eine weitere Zeit gegart wurde. Raffaels Pasta war wie die von Machiavelli oder Vasari labberig, klebrig und süß.
Der Historiker Massimo Montanari, geboren 1949 in Imola, leitet an der Universität Bologna den EU-Studiengang „Geschichte und Kultur der Ernährung“. Gemeinsam mit Alberto Capatti hat er den grundlegenden – und leider bislang nicht ins Deutsche übersetzten – Band La cucina italiana. Storia di una cultura (Laterza 1999) geschrieben, auf den viele seiner Veröffentlichungen aufbauen. So auch dieses blitzgescheite Buch mit dem Originaltitel Il mito delle origini: Breve storia degli spaghetti al pomodoro (Laterza 2019). Victoria Lorini hat es mit viel Gusto ins Deutsche übersetzt. Dass der Mythosbegriff im italienischen Titel („Der Mythos der Ursprünge“) ein anderer ist als im deutschen, sei dahin gestellt. (Immerhin heißt gleich das erste Kapitel: „Wörter. Mit Sorgfalt zu behandeln“.)Für uns mediterran verliebte Nichtitaliener ist Pasta eben ein Mythos. Und damit basta!
Die spanische Soße
Aber zurück zum Buch, das ist eine gründliche – wenn auch mit leichter Hand geschriebene – kleine Kulturgeschichte der Pasta, die mit raffiniertem Geschmack am Detail vielen unterschiedlichen Einflüssen nachspürt. Das reicht von römischen Anfängen der Pasta über den arabischen Beitrag im Mittelalter (von Sizilien aus) bis zu heutigen Essgewohnheiten und Zugaben. Erst spät trat die Tomate auf die Bühne, Goethe erlebte in Neapel 1787 noch die allein weißen Maccaroni: „Sie werden meist nur in Wasser abgekocht, und der geriebene Käse schmälzt und würzt zugleich die Schüssel.“ Die Tomaten kamen als „spanische“ Soße in die italienische Küche, zunächst zu Fleisch, Fisch und Gemüse, bis sie dann im 19. Jahrhundert von Neapel aus – manchmal mit Schmalz (!) „verfeinert“ – die Pasta rot färbte.
Schmalz ist heute längst vergessen wie Zimt und Zucker, Zutaten wie Peperoncino und Olivenöl haben sich durchgesetzt und damit auch den Anstoß für die Aufnahme der Pasta in die „Mittelmeer-Diät“ gegeben. Der Historiker Montanari erzählt „in der sinnlichen Konkretheit eines Tellers Spaghetti“ von dem langen Weg zur kulinarischen Identität Italiens, die anderswo ihren Anfang, ihre Wurzeln im Fremden hat. „Nach den Ursprüngen von dem zu suchen, was wir sind, wird also auch eine Möglichkeit sein, diesen anderen zu begegnen.“ Es lohnt, sein Buch langsam, gleichsam Bissen für Bissen „al dente“ zu lesen, so wie es eine Sünde wäre, Spaghetti al pomodoro gierig herunterzuschlingen.
Massimo Montanari: Spaghetti al pomodoro. Kurze Geschichte eines Mythos. Aus dem Italienischen von Victoria Lorini. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin (2020). 144 Seiten, 18 Euro