Wie Künstler sich mit dem Thema Emigration auseinander setzen. Eine Ausstellung der Triennale Mailand und der Fondazione Trussardi
Mailand (Triennale bis 20.8.2017)- Rastlos geht es zu auf dieser Erde. Ganze Völkerscharen sind unterwegs, fliehen vor Krieg, Hunger, Perspektivlosigkeit. Grenzen werden geöffnet und wieder geschlossen. Willkommenskulturen entstehen und gehen wieder unter. Menschen sterben elendig auf der Flucht. Mitleid mischt sich mit Ablehnung, Realpolitik mit Indifferenz. Der Blick der Medien ist an Katastrophen gefesselt, der Alltag wird oft weggeblendet. Was bleibt, ist häufig nicht mehr als ein Gefühl von Unbehagen und Hilflosigkeit. Und die Kunst? Wie sich die Gegenwartskunst dem Thema stellt, versucht eine Ausstellung in Mailand zu ergründen, die die Triennale zusammen der Trussardi-Stiftung veranstaltet.
Massimiliano Gioni hat sie unter dem Titel „La Terra Inquieta / The Restless Earth“ kuratiert. Der Titel geht auf einen Gedichtsammlung des karaibischen Lyrikers Édouard Glissant zurück, der sich in seinen Arbeiten mit der Koexistenz von Kulturen und Lebensformen auseinander setzt. Gioni ist künstlerischer Leiter des New Museum von New York sowie der Mailänder Fondazione Trussardi. Vor acht Jahren hatte er die Kunstbiennale von Venedig eingerichtet.
Die Ruinen von Aleppo
Werke von 66 Künstlerinnen und Künstler aus über 40 verschiedenen Ländern sind im Palazzo dell’Arte der Triennale zu sehen, darunter Arbeiten aus Albanien, Ghana, dem Irak oder Syrien. Das beginnt mit einer großformatigen Collage des Schweizers Thomas Hirschhorn, der Bilder aus dem zerstörten Aleppo mit antiken Säulen und den Ruinen des Kolosseums arrangiert und Leerräume mit Kupfermünzen von einen bis fünf Cent Euro füllt. Und endet mit einem Video des Briten Steve McQueen, der von einem Hubschrauber aus die New Yorker Freiheitsstatue umkreist, die hier wie ein verrostetes Relikt anderer Zeiten erscheint.
Auf dem Weg durch die Ausstellung stößt man auf Arbeiten von Künstlern wie den Libanesen Marwan Rechmawoui, der den Alltag in den Palästinenserlagern mit Malerei auf Zement thematisiert. Der Algerier Adel Abdessemend füllt ein altes Holzboot, das von einer Flucht aus Kuba stammt, mit vollgestopften Müllsäcken. Und der Chinese Liu Xiaodong malt Emigranten in Mailand, die er frei nach dem berühmte Gemälde „Der vierte Stand“ des Neoimpressionisten Giuseppe Pelizza da Volpedo gruppiert.
Dokumente und Reportagen
Der Kurator mischt Dokumente unter die Exponate. Reportagefotos etwa aus Syrien oder von Bootsflüchtigen auf dem Mittelmeer. Den Hilferuf der Bürgermeisterin von Lampedusa an die EU, als wenige Tage nach ihrem Amtsantritt Leichen an den Strand der Insel treiben. Oder Videodokumentationen, in denen Emigranten die verschlungenen Wege ihrer Flucht beschreiben, die oft Jahre dauert. Und als historische Klammer werden Fotos der Emigration von Italienern nach Amerika und Australien an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gezeigt.
Die bedrückende und zugleich spannende Ausstellung erweist sich als eine vielstimmige Darstellung unterschiedlicher Realitäten und Wahrnehmungen. Die einzelnen Arbeiten, unter anderem auch von Thomas Schütte, Wolfgang Tillmans oder Danh Vo, bleiben für sich fragmentarisch, doch bilden sie zugleich einen Chor. Aus Erfahrung könnte Erkenntnis wachsen und aus dem Dialog der Kulturen Solidarität, das ist wohl die These von Massimiliano Gioni und seiner Mitstreiterin Beatrice Trussardi. Noch aber bleibt die Installation des Schweden Runo Lagomarsino bittere Realität: In der Neonschrift Mare Nostrum, springt das „N“ zum „M“ und macht so das Mittelmeer zum Mare Mostrum.
La Terra Inquieta / The Restless Earth. Palazzo dell’Arte der Triennale, Mailand, bis 20. August 2017. Di – So 10.30 – 20.30 Uhr. Eintritt 8 Euro. Katalog (Electa) englisch/italienisch 45 Euro.
Info: http://www.triennale.org