Emma Hamilton 200 Jahre nach ihrem Tod
und eine Ausstellung in der Casa di Goethe
Rom. Die Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach bereist von 1788 bis 1790 Italien. Dabei hält sie sich nicht wie üblich bei einer Grand Tour die meiste Zeit in Rom, sondern in Neapel auf. In der von einem kosmopolitischen Geist geprägten Stadt, eine der größten und schönsten von Europa, ist sie oft Gast im Hause des britischen Botschafters Sir Walter Hamilton. Der rund 60jährige Diplomat und Hobbyarchäologe lebt in jenen Jahren mit einer weitaus jüngeren Geliebten, der 1765 in der englischen Provinz geborenen Emma Hart, gleichsam in „wilder Ehe“. Eine Unperson? Anna Amalia aber lässt sich von der jungen Frau ebenso bezaubern wie die ganze neapolitanische Gesellschaft bis hin zur Königin und wird ihre Freundin – ein Vorgang, der im heimatlichen Weimar undenkbar gewesen wäre.
Als Emma schließlich 1791 ihren Sir William heiratet und zur Lady Hamilton wird, gratuliert die Herzogin in einem Schreiben mit Grüßen auch an „an die liebe Emma“. Unter den Erinnerungsstücken aus Neapel, die Anna Amalia in Weimar aufbewahrt, ist auch ein „Bildnis Emma Hart als Sibylle“ gemalt von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, das vermutlich die Herzogin selbst in Auftrag gegeben hatte. Mit diesem Bild beginnt die Ausstellung der Casa di Goethe in Rom über „Lady Hamilton – Eros und Attitüde“.
Rund 50 Exponate (Gemälde, Zeichnungen, Drucke, Bücher, Karikaturen, Objekte sowie Audio- und Videoeinspielungen) erzählen die Geschichte einer in Europa ebenso bewunderten wie umstrittenen Tänzerin und Femme fatale.
Ein bildschönes aber einfaches Mädchen vom Lande, das sich als 16jährige von dem britischen Adeligen Sir Charles Greville „besitzen lässt“, wie sie es selbst ausdrückt. Emma Hart lernt in London im Haushalt von Sir Charles Französisch, wird in Musik und Kunst ausgebildet. Und ist natürlich eine „süße Bettgenossin“, wie Sir Charles seinem Onkel William Hamilton schreibt. Aber er will sie los werden, weil er wegen Geldschulden eine lukrative Ehe eingehen muss. So reicht Sir Charles sie dem Onkel nach Neapel weiter, wo sie 1886 mit 21 Jahre ankommt. Hier wird ihre Erziehung fortgesetzt. Und schließlich geht sie als eine „my fair Lady“ ante litteram sogar die Ehe mit dem alten Hamilton ein. Mit Duldung ihres weisen wie greisen Gemahls wird sie ab 1798 die Geliebte von Admiral Horatio Nelson, dem Kommandeur der britischen Mittelmeerflotte und „Helden von Abukir“. An seiner Seite kehrt sie nach London zurück. Lord Nelson stirbt (in der Schlacht bei Trafalgar 1805), bevor er sie heiraten kann. Sein Testament zu ihren Gunsten wird nicht anerkannt, Emma fällt in ein soziales Loch. Alkoholsüchtig, von der englischen Gesellschaft verhöhnt und von Schulden erdrückt, flieht sie schließlich nach Calais, wo sie 1815 im Alter von fünfzig Jahren stirbt.
Schönheitskult und Antikenrezeption in der Goethezeit
Die Ausstellung zeigt, dass die Geschichte der Lady Hamilton mehr ist, als eine Skandalchronik. Sie führt, so auch der Untertitel des prächtigen Begleitbuches, zu „Schönheitskult und Antikenrezeption in der Goethezeit.“ Emma Hamilton war eine Künstlerin, die das neue klassizistische Schönheitsideal mit sogenannten Attitüden in Körpersprache umsetzte. In bewegten Ausdruckstänzen präsentierte sie auf Abendveranstaltungen im Palazzo Sessa, dem Sitz des britischen Botschafters, antik-mythologische Szenen mit schnellen Verwandlungen. Eben noch eine Iphigenie sprang sie in die Attitüde einer Bacchantin, verwandelte sich wieder in eine Ariadne auf Naxus, um als rasende Niobe eine neue Gestalt anzunehmen.
Die leichten Stoffen und Schals, in denen Emma auftrat, verstärkten noch die erotische Spannung. Kleidungsstücke nach dem Vorbild von Tanzfiguren, die auf den antiken Vasen zu sehen waren, welche in jenen Jahren bei der Ausgrabungen in Pompeji und Herculaneum ans Tageslicht kamen. Musikdarbietungen bereicherten das Programm, denn die junge Engländerin, die in Neapel Unterricht in Gesang und Pantomime erhielt, bezauberte ihr Publikum ebenso mit Opernarien und volkstümlichen neapolitanischen Melodien. In einem Brief schildert Emma ihre Wirkung auf das vorwiegend männliche Publikum. Die einen habe sie „sterbend zurückgelassen“, andere „schreiend“ und wieder andere „in Verzweifelung“. „Und stell Dir vor, das waren alles Adlige, so stolz wie der Teufel.“
„Sehr schön und wohl gebaut“
Goethe, der mehreren solchen Veranstaltungen „mit Abwechslung von Stellungen, Gebärden, Mienen etc.“ bei seinem Neapelaufenthalt 1787 in Hamiltons Wohnhaus in Caserta beiwohnte, zeigte sich distanziert. Zwar lobte er (in seiner dreißig Jahre später verfassten „Italienischen Reise“) die Darstellerin, die „sehr schön und wohl gebaut“ sei. Doch hielt er sie eher für „ein geistloses Wesen“ und machte sich zugleich über den „alten Ritter“ Hamilton lustig, der „mit ganzer Seele sich diesem Gegenstand ergeben“ habe.
Weniger distanziert zeigten sich Maler, die wie Mücken vom Licht angezogen in den Palazzo Sessa strömten, um den Star der neapolitanischen Abend-Veranstaltungen als Modell zu nutzen. Hamilton ließ dafür einen eigenen Raum einrichten. Unter den Künstlern war auch Goethes Freund Tischbein, der von Emmas Fähigkeiten fasziniert war, „Affekte und Leidenschaften auszudrücken.“ Oder Friedrich Rehberg, dessen (züchtige) Zeichnungen der Attitüden durch Kupferstiche in ganz Nordeuropa kursierten. Der Palazzo Sessa ist heute übrigens Sitz des Goethe-Instituts von Neapel.
Von der Tänzerin zum Modestar
Die Ausstellung, die erste ihrer Art über Lady Hamilton überhaupt, geht auf eine Idee der Leiterin der Casa di Goethe Maria Gazzetti zurück. Der Bremer Germanist und Kulturhistoriker Dieter Richter hat sie konzipiert und kuratiert. Er nimmt dabei die Persönlichkeit der Emma ernst, will sie aus einer typischen Männersicht befreien. Sie war mehr als „Hamiltons Schöne“ (Goethe) oder gar nur „Hamiltons H.(ure)“ (Herder). Sie war eine talentierte Künstlerin und verfügte über jene Unbefangenheit in der Präsentation des eigenen Körpers, die, so Richter, „dem zeitgenössischen Bild der antiken Lebensweise entsprach.“ Auch ihre weichen, ein wenig fülligen Körperproportionen kamen einem antiken Idealbild von der Frau als Venus gleich. So konnte sie eine wichtige Rolle in der Vermittlung des neuen klassizistischen Stil übernehmen.
Ihre Attitüden wurden in ganz Europa nachgespielt, die Abbildungen ihrer Kleidung in Drucken vielfach vertrieben. Emma war auch ein Modestar. Das Weimarer „Journal des Luxus und der Moden“ forderte „unsere Damen“ auf, „durch fleißige Betrachtung dieser Zeichnungen“ dem Vorbild der Lady Hamilton zu folgen. Denn der „zierlichste Putz“ bestehe in „der größten Simplicität und in jener unnennbaren Grazie, wobei ein sehr einfaches Gewand, ein Schleier, ein Band mehr wirkt als die prunkvollsten Stoffe und kostbarsten Modeartikel aus London und Lyon.“
Dieter Richter ist bei seinen Recherchen für diese „weibliche Emanzipationsgeschichte ganz eigener Art“ auf eine Reihe unveröffentlichter Materialen gestoßen. Darunter auf Briefe des Erzbischofs von Tarent, einem Freund von Sir William. Im Auftrage Hamiltons versucht der Bischof, sich in diesen „Erziehungsbriefen“ an Emma um die ethische Bildung der jungen Frau zu kümmern. Unter den vielen Fächern, in denen Emma unterrichtet wird, ist es wohl dasjenige, was sie am wenigsten fleißig studiert. Eine Abschrift der Briefe fand Richter im Staatsarchiv Weimar. Offensichtlich hatte sie Emma-Fan Anna Amalia, die auch mit dem Erzbischof von Tarent befreundet gewesen war, an die Ilm gebracht.
Ein Triumphzug durch Europa
Im Jahr 1800 wird der inzwischen 70jährige William Hamilton kurz nach der Niederschlagung der jakobinischen Revolution in Neapel von seinem Posten als Botschafter abberufen. Zusammen mit Lord Nelson, der zwei Jahre zuvor die französische Flotte geschlagen hatte, und der immer noch schönen, wenn auch etwas beleibten Emma macht er sich auf die Rückreise nach London quer durch das antinapoleonische Europa. Es ist ein Triumphzug vor allem wegen Nelson, aber auch Emma ist längst eine Berühmtheit. Triest, Wien (eine Privataudienz beim Kaiser), Dresden. Fürst Esterhàzy lädt sie auf sein Schloss nach Eisenstadt. Hier trifft man Joseph Haydn, der ein Loblied auf Nelson komponiert, das Emma vorträgt, während der Komponist sie am Klavier begleitet.
Nicht immer soll sich Lady Hamilton bei der Reise „comme il faut“ benommen haben und häufiger an Spieltischen als bei Abendgesellschaften zu finden gewesen sein. Sie sei, so berichtet ein britischer Reisender, „die vulgärste, schlecht erzogenste und unsympatischste Person, die wie getroffen haben.“ Aber vielleicht, so kommentiert Dieter Richter, klingen hier schon die Ressentiments an, die Lady Hamilton in England entgegen schlagen werden.
In Hamburg, wo das Trio zehn Tage lang bleibt, bevor man sich zur Überquerung des Ärmelkanals einschifft, sucht der alte Republikaner Klopstock (der aber ein Feind Napoleons ist) begeistert ihre Gesellschaft. Emma muss dolmetschen, weil Nelson kein Französisch und Klopstock kein Englisch spricht. Der 76jährige Dichter fügt einer Ode über den durch Nelson angeblich hergestellten Frieden einen Vers über die „Zauberin Emma“ an. „Da Niobe sie/ Stumm, mir spielte.“ Als er nach ihrer Abreise erfährt, dass sie bei der Niederschlagung der Revolution in Neapel auf Seiten des Königshauses gestanden und eine schändliche Rolle bei der Hinrichtung der Anführer der Jakobiner gespielte hatte, (wie es später auch Alexandre Dumas in seinem Roman „Die Memoiren einer Favoritin“ beschreibt) streicht er den Vers wieder.
Ein Vesuv in Wörlitz
Zur Rezeptionsgeschichte gehört denn auch eine durchweg negative Sicht dieser „Skandalnudel“, die im sozialen Abstieg nach dem Tod Nelsons bald ihren schönen Körper einbüßt, verachtet und in Zeichnungen wie Romanen karikiert wird. Noch einhundert Jahre später bebildert George Grosz einen Text über die „Posen-Emma“ von Alfred Richard Meyer („Vom Dienstmädchen zum Beefsteak à la Nelson“) mit bitterbösen Zeichnungen.
Die Ausstellung wird im kommenden Jahr nach Wörlitz wandern. Fürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, der bei seiner Italienreise am Golf von Neapel auch Gast von Hamilton gewesen war, hatte sich einen Landschaftsgarten nach englischem Vorbild anlegen und Ende des 18. Jahrhunderts mit italienischen Reminiszenzen nach Eindrücken seiner Reise ergänzen lassen. Darunter auch ein neapolitanisches Ambiente. In den Wörlitzer Anlagen gibt es sogar einen Vesuv, den man heute noch pyrotechnisch zum Ausbruch bringen kann – und eine Villa Hamilton.
Lady Hamilton. Eros und Attitüde. Casa di Goethe, Rom, bis 17.01.2016. Tgl. außer Mo – 18 Uhr. Anschließend in Wörlitz: Haus der Fürstin, 04.06. bis 18.09.2016. Katalogbuch zweisprachig deutsch/italienisch (Michael Imhof Verlag, Petersberg) 29,95 Euro.
Veröffentlicht in ähnlicher Form in der Stuttgarter Zeitung vom 28.11.2015