NEBEN DEM SARAZENENTURM


Zwischen Thüringen und Ligurien: Das bewegte Leben des Bauhausschülers Otto Hofmann

Plakat zur Hofmann-Ausstellung in Genua 2009/2010

Plakat zur Hofmann-Ausstellung in Genua 2009/2010

Pompeiana (Ligurien), Dezember 2009. Vom kleinen Friedhof von Pompeiana, wo Otto Hofmann (1907-1996) begraben liegt, fällt der Blick die kurvige steile Straße hinunter auf den alten Borgo mit seinem Sarazenenturm und der barocken Kirche Santa Maria Assunta. Von dort gleitet er ins Tal, das sich südwärts zum ligurischen Meer und zur Mittagssonne öffnet, als wollten die sanften Hügelketten unterhalb des Monte Croce zwischen Sanremo und Imperia die Welt mit offenen Armen empfangen. In dieses vom Licht durchflutete Klimaparadies, in dem noch in den Wintermonaten die Bougainvillea feurig blühen und es nach Jasmin duftet, hatte sich Mitte der siebziger Jahre der Maler, Fotograf und Designer Otto Hofmann mit seiner Frau Marianne zurückgezogen.

Als Schüler von Paul Klee und Wassily Kandinsky
Das weiße mediterrane Licht und die vibrierenden Farben des Hinterlands der Riviera haben in ein Spätwerk Eingang gefunden, das heiterer nicht sein könnte. Zeit seines Lebens hat sich Hofmann einen kindlichen Blick bewahrt. Abstrakte und konkrete Formen, phantasievoll stilisiert, bewegen sich dabei durch einen landschaftsartigen Hintergrund. Es sind teilweise großformatigen Arbeiten, die auf der Retrospektive zu sehen sind, die der Palazzo Ducale von Genua in diesen Wochen Otto Hofmann widmet. Sie heißen „Frühling“, „Ligurische Sommernacht“ oder „Im Schnee“ und ähneln frappierend frühen Arbeiten des Künstlers, der Anfang der dreißiger Jahre am Bauhaus als Schüler der Meisterklassen von Paul Klee und Wassily Kandinsky in Dessau gelebt hat.
Was damals tastende Versuche im Neuland waren, kommt im reifen Altersstil zur Ruhe. Otto Hofmann war in Kontakt mit den unterschiedlichen Bewegungen der europäischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts immer auf der Suche nach neuen, meist abstrakten Formen, die Wirklichkeit zu interpretieren. Nördlich der Alpen ist er heute weniger bekannt als in Italien, wo die Erinnerung an ihn auch durch die kontinuierliche Arbeit des kleinen Goethe-Instituts von Genua wach gehalten wird.

Eine Arbeit aus dem Jahr 1932

Landschaft mit geometrischen Figuren (1932)

Ein dramatischer Lebenslauf
Der heitere, harmonische Ausdruck seiner ligurischen Bilder täuscht über einen dramatischen Lebenslauf hinweg. Ein Dickschädel aus Thüringen. Einer der lieber Zurücksetzung in Kauf nahm, als sich anzupassen. So schildert ihn Marianne Hofmann, die, um etliche Jahre jünger als ihr Mann, heute noch in Pompeiana neben dem Sarazenenturm in dem alten Haus lebt, in dem die beiden sich mit dem Blick ins Tal und aufs Meer eine letzte Zuflucht eingerichtet hatten.

Hofmann kam 1907 in Essen zur Welt, wuchs dann in Thüringen auf, wo der Vater bei Zeiss in Jena arbeitete. Die Landschaften mit ihren Wäldern, Seen und versteckten Dörfern prägten sein ästhetisches Empfinden. Die sozialen Verhältnisse in den Städten machten ihn nachdenklich. Er lernte Maurer, studierte dann Architekturstudium in Stuttgart und wechselte schließlich im Wintersemester 1928/29 ans Bauhaus nach Dessau. Im Milieu der Arbeiterbewegung aufgewachsen engagierte er sich in der KPD. Am Bauhaus probierte er sich in den verschiedensten künstlerischen Techniken aus, übte sich in Baulehre, lernte Fotografieren, studierte aber auch Betriebslehre und Psychologie. Malen war anfangs geradezu verpönt in Dessau. Man malte eher „im Geheimen“, wie Max Bill berichtet, da „praktische Ergebnisse, Sozialprodukte“ gefordert wurden. Das änderte sich erst nach der Neueröffnung im Herbst 1930 unter Mies van der Rohe mit den Malklassen von Klee und Kandinsky.

Frühe Konflikte mit dem NS-Staat
Die konkrete politische Einstellung und die abstrakte Malerei brachten Otto Hofmann schon im Frühjahr 1933 in Konflikt zum nationalsozialistischen Staat. Er fühlte sich verfolgt, floh in die Schweiz zu Hans Arp und kam dann nach Paris, wo er Fernand Léger kennen lernte und Kandinsky wieder begegnete. Persönliche Umstände ließen ihn nach Deutschland zurückkehren. In Berlin schlug er sich unter anderem mit Entwurfsarbeiten für die Staatliche Porzellanmanufaktur durch. Der Krieg schickte ihn wieder einmal durch Europa, diesmal als Soldat. Frankreich, Griechenland und dann Russland.
In Briefen an seine Familie und seine erste Frau schildert er Erlebnisse aus Russland zwischen 1941-44. Er war hin und her gerissen zwischen den „Gemeinheiten des Krieges“ und Eindrücken einer großartigen Landschaft, den Farben der Natur, „stahlblauschwarze Wasser, auf dem sich bei absoluter Windstille leise von Zeit zu Zeit – je nach Abstand der Detonationen – Seerosen ganz weiß und gelb und große Sumpfdotterblumen wiegen.“
Die Briefe sind illustriert mit faszinierenden mal abstrakten, mal gegenständlichen Zeichnungen. In Nebel gehüllte Landschaften stehen neben brennenden Dörfern. Diese „Malerbriefe aus Russland“ bilden ein eigenes Kapitel im Werk von Otto Hofmann. Einige dieser farbigen Skizzen werden später in große Bildmotive umgesetzt. Die von der Stadt Genua und vom Goethe-Institut veranstaltete Ausstellung im Palazzo Ducale geht darauf ausführlich ein. Und Marianne Hofmann hat dazu ein Buch (im Kupfergraben Verlag) herausgegeben.

Flucht aus dem neuen Deutschland-Ost
Wie durch ein Wunder überlebte Hofmann Stalingrad und kam in russische Gefangenschaft. Im Lager wusste er sich mit Zeichnungen und Porträts der Aufseher Freunde zu machen. Mit einer schweren Lungenentzündung und von Rheumatismus gelähmt wurde er 1946 todkrank zurück nach Deutschland geschickt, wo er wieder zu Kräften kam. Vom Thüringischen Rudolstadt aus wollte das ehemalige KPD-Mitglied beim Aufbau eines neuen Deutschlands dabei sein. Erste Ausstellungen im Angermuseum Erfurt und in der Berliner Galerie Rosen machten ihn bekannt. Doch das neue Deutschland-Ost hatte den sozialistischen Realismus zur Staatskunst erkoren. Abstrakte Kunst galt nach wenigen Jahren zum zweiten Mal als „entartet“. Der Druck auf Hofmann wuchs, wurde unerträglich. 1950 floh er Hals über Kopf in Westen. Dabei ließ er den größte Teil seiner Arbeiten zurück. Bilder und Objekte, die bis heute verschollen sind.

Berlin, Paris, Brüssel, Tessin, München – Hofmann wird endgültig zum Europäer, freundet sich mit Giacometti an, schreibt ein Drehbuch für einen abstrakten Film, verdient sich sein Brot mit Entwürfen für Rosenthal und Hutschenreuther. Er heiratet ein zweites Mal und übernimmt 1966 eine Professur an der Berliner Hochschule der Künste. Vor rebellierenden Stundenten muss er sich erneut für seine abstrakte Kunst rechtfertigen. Meistens kann er seine Schüler überzeugen, wie Marianne Hofmann erzählt.

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Marianne Hofmann

Das Licht der ligurischen Riviera
Nach der Emeritierung 1975 suchen er und seine junge Frau „das Licht“ an der ligurischen Riviera, wo sich der Künstler endlich „ausmalen“ kann. In dem Atelier unter dem Dach seines Haus entstehen poetische Bilder, denen man anzusehen glaubt, dass ihre oft flimmernden Farben unter Musikbegleitung aufgetragen werden. Beethoven, Strawinsky, Berlioz. Oft die selbe Platte immer wieder von vorn, dass manchmal die Nachbarn protestieren.
In enger Zusammenarbeit mit der Galerie Martini & Ronchetti (Genua), die ihm über seinen Tod im Alter von 89 Jahren hinaus mehrere Ausstellungen widmet, wird der „Professore“, wie er im Borgo genannt wurde, in Italien bekannt. Giovanni Battista Martini hat schließlich auch die große Retrospektive mit mehr als 400 Arbeiten (Gemälde, Zeichnungen, Fotografien, Einrichtungsgegenstände) kuratiert, mit denen jetzt im Palazzo Ducale ein Jahrhundert, Hofmanns Jahrhundert besichtigt werden kann.

In Pompeiana zeigt Marianne Hofmann das Atelier mit der alten Staffelei und dem Tisch, auf dem Farben und Pinsel stehen, die manchmal sie heute benutzt. Durch die Fensterfront und die offene Tür zur Terrasse, die gleichsam über dem Borgo mit dem Blick aufs Tal und das Meer schwebt, fällt gleißend Mittagslicht.