Carl Wilhelm Macke über David Maria Turoldo, einen vergessenen Dichter aus dem Friaul
München/Ferrara – Mit einer Charakterisierung von David Maria Turoldo könnte man es sich leicht machen. Er war ein Gedichte schreibender Priester, dessen intellektuelle Welt durch und durch von seiner katholischen Herkunft geprägt wurde. Seine Bilderwelt entstammt der Bibel und den Erzählungen rund um das Leben der Heiligen – Franziskus von Assisi und Teresa von Avila vorneweg. Priester blieb Turoldo tatsächlich bis zu seinem Tod im Jahre 1992 in Mailand. Kardinal Carlo Maria Martini zelebrierte die Totenmesse in der Chiesa San Carlo. Aber ein kurzer Blick auf seine Vita zeigt bereits, dass man es sich mit diesem scheinbar so erzkatholischen Dichter so leicht nicht machen kann.
Geboren wird Turoldo 1916 im friaulanischen Cederno. Mit achtzehn Jahren tritt er als Novize dem Orden der Servi di Maria bei. 1940 wird er in Vicenza zum Priester geweiht. Schon um diese Zeit herum beginnt er mit dem Schreiben von Lyrik, was er dann sein ganzes Leben lang fortgesetzt hat. Sehr früh hat er sich auch mit den sozialen und politischen Realitäten seines Landes auseinander gesetzt. Dieses Engagement bringt ihn bald in eine wachsende Distanz gegenüber der Kirchenhierarchie, die zwar eine Nähe ihres Klerus zur Democrazia Cristiana mit großem Wohlwollen sieht, aber davon abweichende politische Sympathien einzelner Priester heftig bekämpft.
Widerstand in Mailand
Turoldo schließt sich in Mailand der antifaschistischen Resistenza an und nimmt offen Partei für die „Ausgebeuteten und Unterdrückten“. In Mailand gibt er auch die Untergrundzeitschrift „L’Uomo“ heraus. Nachdem er in der unmittelbaren Nachkriegszeit wegen erneuter Konflikte mit der Kirchenhierarchie ein paar Jahre in Österreich und Bayern verbringen musste, kehrt er nach Italien zurück. Die innerkirchlichen Anfeindungen gegen Turoldo lassen im Kontext des 2. Vatikanischen Konzils, dessen Reformimpulse von ihm begrüßt werden, etwas nach. In Udine dreht er einen Film über das einfache Leben der Menschen auf dem Land mit dem Titel „Gli Ultimi“ zusammen mit dem Regisseur Vito Pandolfi nach einer autobiographischen Erzählung aus der Vorkriegszeit. Anfang der 1960er Jahre gründet er in Sotto il Monte, dem Geburtsort von Papst Johannes XXIII. unweit von Bergamo, die Gemeinschaft „ Gli amici di Emmaus“.
Eine produktive Schaffenszeit
In diese Jahren fällt eine besonders produktive Schaffenszeit im Leben des Dichterpriesters Davide Maria Turoldo. Nach und nach erscheinen mehrere Gedichtbände, die auch in der nicht-katholischen Öffentlichkeit Italiens – unter anderen äußeren sich Andrea Zanzotto und Luciano Erba enthusiastisch – ein Echo finden. Zwar nimmt Turoldo immer wieder besorgt Stellung zu Tendenzen einer kulturellen Restauration in der italienischen Politik und vor allem in der Kirche, aber im Mittelpunkt seiner Aktivitäten der letzten Lebensjahren steht jetzt das Schreiben von Gedichten.
Stellvertretend für viele seiner lyrischen Arbeiten soll hier das im Umfang radikal kurze, aber in seinem Inhalt so reiche Gedicht „Poesia“ in der Schwierigkeit seiner Übersetzung vorgestellt werden:
Poesia
è rifare il mondo, dopo
il discorso devastore
del mercadante.
Vier Versuche eine Übersetzung
Erster Versuch einer Übersetzung: „Poesie, das ist die Wiedererschaffung der Welt, nach/ dem zerstörerischen Diskurs/ des Kaufmanns“. Diese Übersetzung deutet zwar an, um welchen Inhalt es bei diesem Gedicht geht, aber sie klingt holprig, einfach „unschön“. „Diskurs“ ist ein Wort aus der akademischen Umgangssprache, das aber in einem Gedicht keinen Platz finden sollte.
Zweiter Versuch: „Poesie/ das ist die Erneuerung der Welt/ nach ihrer Zerstörung/ durch den Markt.“ Schon besser, aber „mercadante“ mit „Markt“ zu übersetzen ist nicht ganz sauber. „Der Markt“ – das ist die Sprache von Bankern, Politikern und Wirtschaftsjournalisten. Poesie aber bleibt etwas anderes.
Dritter Versuch: „Mit der Poesie kann man die Welt erneuern, nachdem sie vom Kommerz verschandelt worden ist.“ Damit kommt man den Gedanken des Autors beim Schreiben dieses Gedichts sicherlich sehr nahe, aber entfernt sich auch gleichzeitig von der dichten Poesie des Textes und seinem Rhythmus.
Vierter Versuch: „Poesie/ das ist die Wiedererschaffung der Welt/ nach ihrer Zerstörung /durch Raffkes und Heuschrecken“. Damit treibt man natürlich weg von dem eigentlichen Text, aber kommt der heutigen „börsennotierten Weltrealität“ sehr nahe.
Kurz und gut: es ist nicht leicht, gerade in der Form kurze, knappe Gedichte wie diese „Poesia“ von Turoldo, ebenso knapp in eine andere Sprache zu übersetzen. Vielleicht ist dieser Text wegen seiner Dichte in einem gewissen Sinn auch unübersetzbar, obgleich jeder, der heute Gedichte liest, vielleicht sogar schreibt, aber vor allem und mit offenen Augen und klarem Kopf durch die Welt läuft, wohl weiß, was uns der Dichter sagen wollte, als er diese wenigen Zeilen schrieb.
Besser und genauer wie Turoldo kann man kaum in Worte fassen, was die Möglichkeiten von Poesie sein können in einer Welt, in der alles, aber auch alles monetarisiert wird. Man schreibt oder liest Gedichte, weil man einfach die Schnauze voll hat von der Welt der Investmentmanager, Moneymaker und gegeelten Bauspekulanten. Auch dieses Gefühl von Wut zeichnet einen Weg zu einer passenden Übersetzung des Gedichts von Turoldo, des der Welt zugewandten Mystikers und bibeltreuen Rebellen aus dem Friaul.
Wie heute das Gedächtnis von Padre Turoldo weiter getragen wird, kann man auf der Webseite www.davidmariaturoldo.it verfolgen. Seine Gedichtbände liegen u.a. bei Rizzoli vor. Bei Servitium sind gerade bislang unveröffentliche Briefe erschienen
Über Carl Wilhelm Macke siehe hier