SCHWUNGVOLL UND GEGENWÄRTIG


Notizen zum 37. Rossini Opera Festival in Pesaro

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Verschleiert – Salome Jicia als Elena in „La donna del Lago“

Pesaro – Das 37. Rossini Opera Festival geht in diesen Tagen zu Ende. Im Mittelpunkt stand eine vielumjubelte, von der Kritik etwas zurückhaltend aufgenommene Neuaufführung der „Donna del Lago“. Michele MariottI dirigierte, Italiens Regiestar Damiano Michieletto hat sie auf die Bühne gestellt. Daneben sah man einen von Davide Livermore erfrischend inszenierten „Il Turco in Italia“ unter der musikalischen Leitung von Speranza Scapucci, der ersten weiblichen Dirigentin des Festivals. „Ciro in Babilonia„, eine Wiederaufnahme aus dem Jahr 2012 (Regie: Davide Livermore, Dirigent: Jader Bignamini) bildete das ernste Gegenstück gegen so viel unterhaltsames Musiktheater.

Star das Festivals war wieder einmal der hier vor 20 Jahren entdeckte Juan Diego Florez, der die Titelrolle der „Donna del Lago“ sang. Florez wurde außerdem mit einem eigenen Abend („Florez 20“) geehrt, an dem er und Kolleginnen und Kollegen wie Pretty Yende, Nicola Alaimo oder Michael Spyres an seine größten Erfolge mit Arien aus Rossinis Opern erinnerten. Die Stadt Pesaro überreichte dem Tenor aus Dank die Schlüssel der Stadt, wo Rossini 1792 geboren wurde.

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Der Superstar – Juan Diego Florez

In der „Donna del Lago“ trat Florez in der Rolle des schottischen Königs Giacomo V. auf, der sich eines Aufstands erwehren muss, den er aber siegreich niederschlagen kann. Im Sieg vergibt er großmütig reuigen Feinden. Und verzichtet auf die geliebte Frau Elena, die sich Malcom aus dem Lager der Gegner verbunden fühlt. Stendhal nennt das Stück in seiner Rossini Monographie ein „eher episches als dramatisches Werk“. Diese romantische Geschichte nach einem Motiv von Walter Scott ist nicht ohne politischen Hintergrund. Rossini vertonte sie 1819 für das Teatro San Carlo – nur vier Jahre nachdem Napoleons Statthalter Murat seine Macht endgültig verloren hatte und der zuvor vertriebene Bourbonenkönig nach Neapel zurückkehren konnte.

Weder ernst noch komisch

Doch Regisseur Damiano Michieletto (geboren 1975 in Venedig) interessiert sich allein für die privaten Beziehungen im Stück. Und entwickelt es als Rückblick von Elena und Malcom. Zwei Schauspieler interpretieren stumm das alte Paar, das die Geschichte noch einmal durchlebt und in der Dopplung der Rollen meist die ganze Zeit auf der Bühne bleibt. Die Idee ist überzeugend und schafft einen Verfremdungseffekt. Denn der romantischen „Donna del Lago“, die weder als „ernste“ noch als „komische“ Oper zu verstehen ist, fehlt es an Ironie, mit der besonders Rossinis leichte Arbeiten verzaubern. Schade nur, dass Michieletto die Verdopplung der Rollen auch da voll ausspielt, wo Andeutungen genügt hätten, und die Verfremdung streckenweise zur Entfremdung gerät.

Die aber wird aufgefangen von der „wilden, sehr anziehenden Kraft“ (Stendhal) der Musik, die Michele Mariotti mit dem Orchester des Teatro Comunale von Bologna überzeugend zu zügeln weiß. Und den wundervollen Stimmen eben eines Juan Diego Florez aber auch eines gleichfalls strahlenden Michael Spyres als Rodrigo und dem aufblühenden Talent von Salome Jicia als Elena.

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Frivol – Olga Peretyatko und Erwin Schrott in „Il Turco in Italia“

Die Idee eines Stückes im Stück ist  im „Turco in Italia“ (geschrieben 1814 für die Scala) bereits im Libretto angelegt. Hier sucht der Dichter Prosdocimo Material für eine Komödie . Als ein türkischer Prinz in die Stadt kommt, verwickelten sich verschiedene Liebesbeziehungen zur Freude des Dichters zu einem spannungsvollen Knoten. Der Turiner Regisseur Davide Livermore verlegt die Geschichte in die italienische Kinowelt der 1950er Jahre. Er macht den Dichter zum Filmregisseur, in dem man Federico Fellini erkennen kann. So entsteht eine schwungvoll gegenwärtige Interpretation vergangener Geschichten um Galanterie und Liebe, Eifersucht und Verschlagenheit. Erwin Schrott als Selim, Pietro Spagnoli als Prosdocimo und die (aus Gründen der Gesundheit) etwas zurückhaltende Olga Peretyatko als vergnügungssüchtige Ehefrau Fiorilla geben dem Abend stimmliche Kraft und überzeugen zugleich als Schauspieler.

Die Finanzen stimmen

Mit 37 Jahren kommt ein Festival langsam in die Jahre, aber dem Rossini Opera Festival (ROF) gelingt es jedes Mal, sich wieder neu zu erfinden. Und das bei schrumpfenden Finanzen (Budget heute fünf Millionen Euro, vor wenigen Jahren waren das noch sieben Millionen). In Pesaro stimmen trotzdem die Bilanzen. Sänger treten hier für geringere Gagen auf, weil man ihnen eine Bühne bietet, wo sie sich vor einem internationalen Publikum – rund zwei Drittel der Besucher kommen aus dem Ausland – und der Weltpresse präsentieren können. Mit Koproduktionen senkt man die Kosten. Die „Donna del Lago“ wurde zusammen mit der Oper Lüttich, der „Turco in Italia“ zusammen mit der von Valencia produziert. Die Bühnenbilder entsprechen der hohen Qualität der Inszenierungen, ohne jedoch die technischen und ästhetischen Exzesse, die anderswo die Kosten vieler Opernproduktionen in die Höhe treiben. Gianfranco Mariotti, der Gründer und Intendant des Festivals, erzählt mit Stolz, dass alle Arbeiten in der Stadt und im Umland vergeben werden, und hier auch eine handwerkliche Qualität gewachsen ist, die zum kulturellen Reichtum beiträgt. (Ein Interview mit Mariotti siehe hier.)

Der Erfolg der Accademia

Zum künstlerischen Reichtum gehört die Sängerakademie des Belcanto unter der Leitung von Alberto Zedda. Hier wird Jahr für Jahr der Nachwuchs ausgebildet, der Rossini auf den Bühnen der Welt stilgerecht interpretieren kann. Ein Florez ist aus ihr hervorgegangen wie eine Olga Peretyatko. Und die 30jährige Georgierin Salome Jicia, die in der „Donna del Lago“ triumphierte, hatte sie gerade erst vor einem Jahr besucht. Zedda zeigt sich begeistert über ihre geradezu „blitzartige“ Entwicklung. Er hatte sie gleich im vergangenen Jahr nach Moskau zu einer von ihm dirigierten „Semiramide“ mitgenommen. „Doch im ‚Viaggio’ vor einem Jahr haben nicht alle verstanden, dass sie als Contessa di Folleville überzeugen konnte.“

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Alberto Zedda und die Klasse der Accademia 2016

Richtig, der „Viaggio a Reims“ (Paris 1825). Rossini hat vielleicht nie wieder ein so abwechslungsreiches,  so schwungvolles Stück geschrieben. Gleichsam eine Sammlung, ein Katalog aller seiner Ausdrucksformen. Wiederentdeckt wurde das lange verschollene Werk natürlich in Pesaro im Jahr 1984 durch Claudio Abbado und Luca Ronconi (Regie). Seit einigen Jahren gehört zum Festival eine Aufführung des „Viaggio“ mit den jeweiligen Schülerinnen und Schülern der Accademia. Junge Stimmen, die aber bereits eine professionelle Ausbildung hinter sich haben. Hier bekommen sie den letzten Rossini-Schliff. Und es ist jedes Mal ein Vergnügen, diesen Inszenierungen beizuwohnen, bei denen junge Künstler mit jeder Note beweisen, wie künstlerische Arbeit Vergnügen machen kann. In diesem Jahr als Contessa di Folleville etwa die wundervolle 22jährige Marina Monzò aus Valencia. Was wird sie wo in den kommenden Jahren singen?

Auf einem guten Weg

Im kommenden Jahr 2017 stehen beim ROF u.a. eine Neuinszenierung von „Le siège de Corinthe“ (Paris 1926) und Wiederaufnahmen von „Torvaldo e Dorliska“ (Rom 1815) und „La pietra del paragone“ (Mailand 1812) auf dem Programm. Das Festival bringt die integralen Werke Rossinis heraus, wie sie in einer kritischen Ausgabe von der Fondazione Rossini (Pesaro) zusammen mit dem Riccordi Verlag (Mailand) erarbeitet werden. Vom umfangreichen Katalog des Maestro aus Pesaro fehlt eigentlich nur die Oper „Edoardo e Cristina“ (Venedig 1819). Ein Cento, das heißt ein zusammengeflicktes Werk, von dem bislang noch keine Originalpartitur aufgetaucht ist. Wie man hört, sind die Musikwissenschaftler der Fondazione jedoch auf einem guten Weg.

Info: www.rossinioperafestival.it