Pinakothek Brera: Ein neuer Direktor hat frischen Wind in Mailands Nobelmuseum gebracht. Doch jetzt stellt er ein Gemälde von Caravaggio aus Privatbesitz aus, dessen Zuschreibung bestritten wird. Über den schmalen Grad zwischen Markt und Museum ist eine heftige Diskussion ausgebrochen.
Mailand (bis 5.2.2017) – Selten wurde ein Mord so realistisch in einem Gemälde dargestellt. Blut spritzt und man glaubt den Schrei des Opfers zu hören. Judith enthauptet, assistiert von einer alten Dienerin, ihren Todfeind Holofernes. Michelangelo Merisi, den die Kunstgeschichte Caravaggio nennt, ist ein Meister in naturalistischen Dramaturgien. Das Motiv der Enthauptung hatte er bereits 1602 in Rom dargestellt. Ein paar Jahre später
malte er in Neapel eine neue Fassung. Die galt bislang als verschollen. Kürzlich wurde in Frankreich – auf einem Dachboden (!) – eine Leinwand mit diesem Motiv gefunden und zum Kauf angeboten. Manche Kritiker halten sie für das Original. Andere, wie etwa Sybille Ebert-Schifferer, die Leiterin der Bibliotheca Hertziana (Rom), haben erhebliche Zweifel. Dass aber diese umstrittene Arbeit aus Privatbesitz nun bei einer kleinen Ausstellung („Attorno a Caravaggio“) der Mailänder Pinakothek Brera gezeigt wird, löste zum Teil heftige Kritik in den italienischen Medien aus. Und der Kunsthistoriker Giovanni Agosti verließ deswegen den wissenschaftlichen Beirat des Museums.
Agosti ist der Überzeugung, dass die Beziehungen zwischen der Welt des Handels und der der Museen „offen, ehrlich und zugleich auf ein notwendiges Minimum“ beschränkt sein sollten. „Ein Ort, der nichts mit Handel oder Werbung zu tun haben sollte.“ Sagt er im Gespräch.
Wird der Wert des Bildes gesteigert?
Giovanni Agostis Zweifel kann James Bradburne, der neue Direktor der Pinakothek, nicht ganz teilen. Der international erfahrene Museumswissenschaftler stellt das umstrittene Bild dem unbestritten echten Caravaggio der Brera, einem „Abendmahl in Emmaus“ gegenüber. Dazu kommt neben anderen Arbeiten eine zeitgenössische Kopie der bislang als verschollen geglaubten „Enthauptung“ des niederländischen Malers Louis Finson (1580-1617).
Agosti befürchtet, dass die Ausstellung des umstrittenen Bildes dem Eigentümer helfen könnte, den Wert zu steigern. Zumal der zur Bedingung gemacht hatte, dass es mit einer Bildlegende ausgestellt wird, die es als einen echten Caravaggio ausweist. Bradburne hält dagegen, dass das Gemälde bereits auf dem Markt als ein Caravaggio für 120 Millionen Euro angeboten wird. „Wir verkaufen nicht das Werk. Wir haben auch keinen Einfluss auf den Wert.“ So Bradburne im Gespräch.
Die Bildlegende mit einem „Sternchen“
Die Darstellung der „Enthauptung“ ist vom französischen Staat, der ein Vorkaufsrecht gelten machen kann, für drei Jahre lang für den Verkauf gesperrt worden. Der Preis, falls sich das Bild als echt erweisen sollte, liegt also bereits fest. Mailand ist in der Bildlegende dem Wunsch des Eigentümers auf Zuschreibung gefolgt. Zugleich weist ein Sternchen auf einen Zusatztext hin, der besagt, dass diese Zuschreibung eine Bedingung für die Ausstellung sei und dass das Museum und seine Fachleute nicht unbedingt dieser Meinung seien.
Nicola Spinosa, Kulturhistoriker aus Neapel und Kurator dieses „Dialogs“, kann sich dagegen schon vorstellen, hier vor einem Original zu stehen. Auch diese Unklarheit ist dem Kritiker Giovanni Agosti ein Dorn im Auge. Er verlangt von einem Museum eine eindeutige Haltung: „Das Museum ist kein neutraler Ort, kein Einkaufszentrum, es ist ein Ort der Wissenschaft und der Studien.“ Und wenn es Werke aus Privatbesitz präsentiert, „sollte es mit seinen Fachleuten dazu eine Meinung erabeitet haben.“
Ein Studientag Ende Januar
James Bradburne sieht die Rolle des Museums dagegen in der einer Werkstatt. Wissenschaftler aus aller Welt sollen diesen angeblichen Caravaggio bei einem Studientag Ende Januar unter die Lupe nehmen. Das sei also „eine transparente Ausstellung“ mit einem kritischen Ziel. Und eben „kein Markt, kein Supermarkt, sondern das ist eine Werkstatt, die wissenschaftliche Diskussion ermöglichen soll.“ Die könne nicht an Hand von Schwarz-Weiß-Fotografien geführt werden, sondern nur, wenn man das umstrittene Bild im Original mit anderen vergleichen würde. Das Museum habe als Aufgabe, Wissenschaft möglich zu machen. „Und das machen wir hier.“
Der Kanadier James Bradburne hat in London und Amsterdam Architektur und Museumswissenschaften studiert. Unter anderem leitete er von 1999 bis 2003 das Frankfurter Museum für Angewandte Kunst. Zuletzt stand er der gemischt öffentlich-privaten Ausstellungseinrichtung Palazzo Strozzi in Florenz vor. Er kam Mitte vergangenen Jahres an die Brera, als in Italien die Direktorenstellen von zwanzig bedeutenden Museen und Einrichtungen nicht mehr durch Fachbeamten des Kulturministeriums besetzt, sondern international ausgeschrieben wurden. Die größte und wichtigste Kunstgalerie Norditaliens mit Arbeiten von Piero della Francesca, Raffael, Mantegna bis Rubens und Hayez wurde vor gut 200 Jahren von Napoleon gegründet.
Das Museum wieder attraktiv machen
Dem 61jährigen Bradburne kommt es darauf an, die Brera nach einer langen Zeit der Stagnation wieder attraktiv für eine Stadt zu machen, die sich selbst als Kulturhauptstadt Italiens versteht. Dazu gehören längere Öffnungszeitungen, verbilligter Eintritt am Abend, Renovierung der Räume und vor allem eine schrittweise Neugestaltung der Sammlung. Gerade sind die Säle mit Werken der Zeit vom Manierismus zum Barock wieder eröffnet worden. Das auch ist der Anlass für den „Dialog“ rund um Caravaggio.
Ohne die Sperrung für den Verkauf durch den französischen Staat, versichert Bradburne, hätte er ein auf dem Markt angebotenes Werk niemals eingeladen. Agosti betont, dass ein öffentliches Museum sich nicht auf ein solches Spiel einlassen dürfe. Auch wenn man im Fall Brera-Caravaggio der Argumentation des Mailänder Museumsdirektors folgen kann, bewegt sich die Beziehung zwischen Markt und Museum, zwischen Kunsthandel und Kunstwissenschaft auf einem schmalen Grad.
Attorno a Caravaggio. Pinacoteca di Brera, Mailand, bis 5. Februar 2017. Katalog Skira, 17 Euro
Siehe auch den Beitrag im Deutschlandfunk (Kultur heute) vom 22.11. „Zwischen Markt und Museum“