VOM KILLER ZUM PADRINO


Der Mafia-Boss Bernardo Provenzano ist gestorben

43 Jahre im Untergrund - Provenzano bei seiner Festnahme 2006

43 Jahre im Untergrund – Provenzano bei seiner Festnahme 2006

Mailand/Corleone – Der sizilianische Mafia-Boss Bernardo Provenzano ist am 13. Juli im Alter von 83 Jahren in dem Mailänder Krankenhaus San Paolo an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben. Er galt als der letzte „klassische“ Padrino, der bis zu seiner Verhaftung 2006 mit Autorität aus dem Untergrund heraus die Geschäfte der Cosa Nostra steuerte und zwischen rivalisierenden Clans zu vermitteln wusste. Dabei benutzte er auf kleinen Zetteln mit Schreibmaschine verschlüsselt geschriebene Botschaften („Pizzini“), die von Hand zu Hand wanderten – ein gleichsam „abhörsicheres“ Kommunikationssystem.

43 Jahre lang im Untergrund

Bernardo „Binnu“ Provenzano wurde am 31. Januar 1933 in Corleone im Hinterland von Palermo geboren. Unter dem lokalen Boss Luciano Liggio erwarb sich der Bauernsohn ohne Schulabschluss schnell den Ruf eines brutalen Killers. Bereits im Alter von 30 Jahren ging er, polizeilich gesucht, in den Untergrund, aus dem er 43 Jahre lang agierte. Bis heute ist rätselhaft, weshalb er solange unbehelligt bleiben konnte. An der Seite des nur wenig älteren Salvatore („Totò“) Riina organisierte er in einem blutigen Mafiakrieg in den 1970er und 1980er Jahren den Aufstieg der Corleonesen zum herrschenden Clan der Cosa Nostra und erwarb sich zugleich den Ruf eines geschickten Geschäftsmannes. Als Riina mordend auch gegen Polizei- und Justizbeamte sowie gegen Politiker vorging, hielt sich Provenzano eher zurück.

Eine „Pax mafiosa“ breitete sich aus

Nach der Verhaftung von Riina 1993 – manche vermuten einen Verrat Provenzanos – und der seines Nachfolgers Leoluca Bagarella 1995 übernahm Provenzano die Rolle des Padrino. „Non fare scruscio – keinen Lärm machen“ lautete jetzt das Motto einer Strategie, die auf spektakuläre Gewalt weitgehend verzichtete, um sich ganz den Geschäften zu widmen. Nach Jahren blutiger Auseinandersetzungen und Mordtaten, die internationales Aufsehen erregten – etwa an den Staatsanwälten Giovanni Falcone und Paolo Borsellino -,  breitete sich eine „Pax mafiosa“ über Sizilien aus. Ob dazu auch „Verhandlungen“ mit Staatsorganen beigetragen haben, wird von offizieller Seite bestritten und konnte bislang juristisch nicht bestätigt werden. Doch tauchen immer wieder Anhaltspunkte auf, die einen entsprechenden Verdacht nähren. Italien befand sich in jenen Jahren nach den Korruptions- und Finanzskandalen in einem gesellschaftlichen und politischen Umbruch. Ruhe an der Mafia-Front konnte jedenfalls nicht schaden.

In einer Feldhütte aufgestöbert

Erst unter neuen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen wurde das Provenzano-System, das noch ganz auf traditionellen, lokalen Mafiabeziehungen aufbaute, brüchig. Inzwischen war auch die kalabresisch Mafia ‚Ndrangheta dabei, der Cosa Nostra durch internationale Verflechtungen und Stützpunkte in Norditalien den Rang abzulaufen. Im April 2006 konnte die Polizei Bernardo Provenzano in einer Feldhütte unweit seines Heimatortes Corleone aufstöbern und festnehmen. Heute ist die ‚Ndrangheta weltweit die mächtigste Mafiaorganisation, Cosa Nostra spielt vorwiegend nur noch eine Rolle auf Sizilien.

Der vielmals zu lebenslanger Haftstrafe verurteilte Schwerverbrecher war zuletzt unter verschärften Haftbedingungen im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Parma untergebracht. Altersdemenz hatte seinen Geist getrübt. 2012 wurde Blasenkrebs diagnostiziert. Im vergangenen Jahr versuchte er, sich das Leben zu nehmen, konnte aber gerettet werden. Eine Zusammenarbeit mit den Justizorganen hatte er immer abgelehnt und über seinen Lebensweg vom Killer zum Padrino grundsätzlich geschwiegen. Gab es eine Zusammenarbeit mit hohen Vertretern des Staates? „Binnu“ Provenzano nimmt mehr als ein Geheimnis mit ins Grab.

Vielleicht werden eines Tages seine Söhne Licht ins Dunkel bringen. Sie sprechen übrigens hervorragend Deutsch und sind teilweise bei Simone, dem Bruder von Bernardo Provenzano aufgewachsen, der mehrere Jahre lang als Gastarbeiter in Willich bei Düsseldorf gelebt hatte.

Das Leben und Wirken von Bernardo Provenzano bis zu seiner Verhaftung 2006 auf dem Hintergrund der Geschichte der Mafia schildert ausführlich das Taschenbuch „Der Pate – letzter Akt. Die sizilianische Mafia“ (Goldmann Verlag, München 2008)