Die italienische Buchmesse auf der Suche nach Neubestimmung
Turin – Der Salone del Libro (12.-16.Mai) ist zu Ende und alle scheinen zufrieden. Die Verleger registrierten bei der italienischen Buchmesse, die eine Verkaufsmesse ist, ein Umsatzplus gegenüber dem Vorjahr. Auch die Veranstalter atmeten auf, schließlich hatte es im Vorfeld Streit um Saudi Arabien gegeben, das nach Deutschland (2015) in diesem Jahr als Gastland auftreten sollte. Doch nach vehementen Protesten wegen der Unterdrückung der Meinungsfreiheit im Golfstaat, hatte man die Einladung wieder zurückgezogen. Dafür sollte allgemein der „arabische Raum“ Gastrecht haben, doch davon spürte man in den Hallen des Lingotto-Ausstellungsgelände nicht allzu viel.
Der Salone del Libro war besonders während der Berlusconi-Ära auch ein Gradmesser der politisch-gesellschaftlichen Stimmung im Land. Auf den vielen Nebenveranstaltungen, die diese Messe auszeichnen und so interessant machen, wurde jahrelang heftig diskutiert, leidenschaftlich gestritten, vehement angeklagt. Der gegenwärtige Populismus unter Renzi & Co scheint dagegen kein Thema. Die Entpolitisierung lenkt die Aufmerksamkeit einerseits wieder mehr auf literarische Themen und Ereignisse wie zum Beispiel auf Dacia Marainis wundervollen neuen Roman „La bambina e il sognatore“ (Das Kind und der Träumer) bei Rizzoli. Man redete in diesem Jahr auch über Philosophie oder erinnerte sich an Natalia Ginzburg, die vor 100 Jahren geboren wurde.
Roberto Saviano und das Fanpublikum
Aber andererseits nimmt das Spektakel immer mehr Raum ein. Gäste vom Populärfilmer Checco Zalone über die Weltraumfahrerin Samantha Cristoforetti bis zum Schlagerstar Antonello Venditti beherrschten die Publikumsszene. Er habe nichts gegen Checco Zalone, grantelte Verleger Giuseppe Laterza aus Bari, aber man brauche ihn nicht, um Bücher zu verkaufen. Umberto Eco sei ja auch nicht zum Schlagerfestival von Sanremo eingeladen worden.
Die Auftritte des von der neapolitanischen Mafia mit dem Tode bedrohten Roberto Saviano, die von einem großen Fanpublikum verfolgt werden, drohen gelegentlich ebenso ins Spektakuläre zu rutschen. Wobei die eigentlich Problematik – die alltägliche Gewalt, der Verlust der Legalität im italienischen Süden und die Rolle der Kultur – untergeht. Vor zehn Jahren hatte Saviano seinen Weltbestseller „Gomorra“ veröffentlicht, den Mondadori jetzt in der Oscar-Reihe als Taschenbuch neu auflegt. Der 36jährige verteidigte in Turin wieder einmal die „nonfiction novel“ als eigenständige literarische Gattung. Und er verteidigte sich selbst: „Manche scheinen es mir übel zu nehmen, dass ich überhaupt noch lebe.“
Fachdebatten spielten am Rande eine Rolle. Die unabhängigen mittleren und kleineren Verlage wandten sich in einem offenen Brief an das Kartellamt mit der Forderung, den Zusammenschluss von Mondadori und Rizzoli (siehe auch auf Cluverius: Mondadori schluckt die Buchabteilung der RCS-Mediengruppe ) streng zu überwachen. Groß-Mondadori kontrolliere jetzt 60 Prozent des Taschenbuchmarktes und in ähnlicher Größenordnung den der Bestseller. Beim Verlegerverband AIE machte sich derweil vorsichtiger Optimismus breit. Der italienische Buchmarkt (Gesamtumsatz 2,6 Milliarden Euro) schrumpft nicht mehr wie noch in den vergangenen Jahren. Im ersten Trimester 2016 gab es ein Plus von 0,1 Prozent.
Ein tiefes Schuldenloch
In Turin klopft man sich zufrieden auf die Schulter, denn die vergangenen Monate hatten den Salone del Libro nicht nur wegen der Ein- und dann der Ausladung von Saudi Arabien heftig ins Gerede gebracht. Der langjährige Präsident der Messegesellschaft, Rolando Picchioni, musste zurücktreten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den früheren Christdemokraten (und Mitglied der Loge P2), der schließlich zum sozialdemokratischen PD wechselte, wegen Veruntreuung von Geldern. Die Fondazione del Libro, die den Salone veranstaltet, wird jetzt von der Fernsehjournalistin Giovanna Milella geleitet. Die 66jährige registrierte als erstes ein tiefes Schuldenloch von mehreren Millionen Euro.
Schummelei mit Zahlen
Eigentlich wollte sie zusammen mit der Mailänder Kulturmanagerin Giulia Cogoli antreten, die als Direktorin den amtsmüden Schriftsteller Ernesto Ferrero ersetzen sollte. Doch entsetzt über die innere Zerrüttung der Stiftung warf Cogoli schnell das Handtuch. So ließ sich noch einmal Ferrero in die Pflicht nehmen. Außerdem kam eine Zahlenmanipulation ans Licht. Picchioni hatte noch im vergangenen Jahr eine Bilanz des Salone mit einem Rekord von rund 340.000 Besuchern gezogen. Tatsächlich wurden nur 122.000 Karten (davon 106.000 bezahlte) abgegeben. In diesem Jahr waren es – wenn nicht geschummelt wurde – 126.000 Besucher (von denen 118.000 angeblich auch bezahlten).
Es geht also aufwärts, irgendwie. Und für das Jahr 2017, wenn der Salone sein 30jähriges Bestehen feiern kann, will man, so berichtet die Turiner Tageszeitung La Stampa, Albanien als Gastland einladen.