MAILÄNDER LÜGENPRESSE


Umberto Ecos neuester Roman „Nullnummer“
– eine (wenig überzeugende) Mediensatire

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Mörderische Gasse – Die Via Bagnera im Zentrum Mailands

Colonna fühlt sich verfolgt. Jemand hat sich nachts unbemerkt in der Wohnung des jungen Übersetzers und erfolglosen Autors von Kriminalromanen aufgehalten. Warum? Weil Colonna bei einem zwielichtigen Zeitungsprojekt mitgemacht hat? Weil er dabei Kenntnisse über dunkle Machenschaften der italienischen Geheimdienste gewonnen hat? Oder bildet er sich den nächtlichen Besuch nur ein? Mit Colonnas Ängsten beginnt „Nullnummer“, der neue Roman von Umberto Eco.

Auf dem Hintergrund der Nachkriegsgeschichte
Es überrascht nicht, wenn Umberto Eco seine Leser kriminalistisch mit auf Spurensuche nimmt. Seit „Der Name der Rose“ (1980), wo ein Mönch zum Mörder wurde, spielen auch Verschwörungstheorien immer eine Rolle. Glänzend gelingt dem Autor das Spiel mit ihnen etwa im Mammutroman „Das Foucaultsche Pendel“ (1989), dessen Handlung sich über mehrere Jahrhunderte (und hunderte von Seiten) hinzieht. Außerdem gehören zu einem narrativen Text des heute 83jährigen Semiologen und Philosophen wie zuletzt im „Der Friedhof von Prag“ (2010) gelehrte Zitate und ebenso mehr oder weniger versteckte historische Anspielungen. Diese Versatzstücke findet man hier und da auch im neuen Buch, das zu Beginn des Jahres in Italien erschienen ist und jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt.

Und doch unterscheidet es sich von seinen Vorgängern: Es ist in der Gegenwart angesiedelt und die knappe Handlung spielt sich – allerdings auf dem Hintergrund der italienischen Nachkriegsgeschichte – in einem kurzem Zeitraum von ein paar Wochen auf relativ wenigen Seiten ab. Es gibt bei diesem „Twitter-Roman“, wie ihn der Autor selbst in einem Interview nennt, so gut wie keine philosophischen Abschweifungen und keine Vertiefungen der Inhalte. Dabei sind sie der Humus der Literatur eines Umberto Eco, und wenn sie ausbleiben, leidet das ganze Buch.

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Umberto Eco gegen schlechten Journalismus

„Nullnummer“ führt uns in das Frühjahr 1992. Das ist ein für Italien bedeutendes Jahr, in dem ein Finanz- und Korruptionsskandal die politische Landschaft verändert, der mörderische Kampf zwischen Mafia und Staat einen Höhepunkt erreicht, und eine Reihe von Enthüllungen etwa über die geheime paramilitärische Einheit „Gladio“ die Öffentlichkeit beunruhigen. In diesem Klima, in dem Verbrechen aufgedeckt wie vertuscht werden und die unterschiedlichsten Kräfte ihre Startpositionen festklopfen wollen, plant ein verschlagener Finanzier und Verleger aus dem Hinterland von Mailand – hinter dem unschwer den Typ Berlusconi zu erkennen ist – die Herausgabe einer neuen Zeitung unter dem Titel Domani („Morgen“). Eine Zeitung, die allerdings zunächst nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Nullnummern, die nur unter ausgewählten Entscheidungsträgern der Gesellschaft zirkulieren werden, sollen mit Lügen- wie Enthüllungsgeschichten dem Finanzier erpresserisch den Zugang zu den Machteliten ebnen.

Der Chefredakteur Simei engagiert neben den Redakteuren einen ehemaligen Germanistikstudenten, der sich nach dem Abbruch seines Studiums eher schlecht als recht durchgeschlagen hat – Colonna eben, der Held des Romans, der guten Whisky (wie sein Autor) zu schätzen weiß. Colonna soll als Ghostwriter für Simei an einem Buch arbeiten, mit dem sich der Chefredakteur als glänzender Blattmacher darstellen möchte.

Skandale, die keinen mehr aufregen 
Die Gegenfigur zu Colonna ist Braggadocio, ein investigativer Journalist. Der wühlt im dreckigen Untergrund der Geheimdienste und kommt dabei einer ganzen Reihe von realen Verschwörungen auf die Spur. Aber er will auch herausgefunden haben, dass nicht Mussolini im April 1945 am Comer See erschossen worden war, sondern ein Doppelgänger. Der echte Mussolini habe von Argentinien aus noch jahrzehntelang in die italienische Wirklichkeit hineingewirkt. Braggadocio weiht Colonna in seine Recherchen ein, auch dass die Stay-Behind-Organisation Gladio etwas mit dem mysteriösen frühen Tod von Papst Johannes Paul I. 1978 zu tun habe. Jedoch wird Braggadocio kurz darauf ermordet – in einer dunklen, berüchtigten Gasse der Mailänder Innenstadt. Unerwartet bricht auch der Finanzier und Verleger sein Zeitungsprojekt ab. Simei zahlt die Redakteure aus und flieht in die Schweiz. Und Colonna versteckt sich mit seiner Freundin Maia, die er in der Redaktion kennen gelernt hat, in einem Haus am Ortasee.

„Nullnummer“ ist eine Satire über Techniken der Lügenpresse und des schlechten Journalismus. Zugleich thematisiert der Roman auf groteske Art einige der großen Skandale und Ungereimtheiten der italienischen Nachkriegsgeschichte. Die werden allerdings von den Medien so zerredet und in immer neue Fantasiegebilde eingebettet, dass sie im Grunde keinen mehr aufregen. In der Wirklichkeit wie in der Literatur. So kann auch Colonna, der wegen seiner Mitwisserschaft zunächst um sein Leben gefürchtet hat, friedlich wieder zum Alltag zurückkehren.

Mit Twitter nichts am Hut
Umberto Eco widmet sich spannenden Themen, doch will es ihm in der kurzen Form nicht recht gelingen, die Spannung ins Buch zu übertragen. Die Figuren bleiben blass und Beschreibungen ersetzen immer wieder die sowieso karge Handlung – der Roman wird streckenweise zum Bericht.

Mehr als einmal gerät die Groteske gefährlich in die Nähe des Klamauks und oft wirken die Dialoge aufgesetzt. Immerhin liest sich die deutsche Übersetzung in vielen Passagen geschmeidiger als das italienische Original. Wir kennen Umberto Eco als einen Autor, der brillant mit Techniken des wissenschaftlichen Textes umzugehen weiß ebenso wie mit denen der narrativen Form oder denen des Journalismus. Der witzige und zugleich anspruchsvolle Reden halten und schlagfertige Interviews geben kann. Mit Twitter und Facebook, so ließ er kürzlich wissen, habe er dagegen nichts am Hut. Mit „Twitter-Romanen“ irgendwie auch nicht.

Umberto Eco: Nullnummer. Roman. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Hanser Verlag, München. 240 Seiten, 21,90 Euro618Skbr07cL._AA160_