EIN PILOSOPH AM HERD


Zu Besuch bei Max Alajmo, dem jüngsten Koch mit drei Michelin-Sternen, im Restaurant Le Calandre in Sarmeola di Rubano (bei Padua).

© Cluverius

Pfiffig: Der Koch als Darsteller und als kreativer Intellektueller – Max Alajmo

Sarmeola di Rubano – Was verbirgt sich hinter diesem Gesicht? Spitzbübisch lächelt Massimiliano (Max) Alajmo aus seine großen braunen Knopfaugen heraus. Man möchte den 44jährigen mit den aufrecht stehenden, kurzen schwarzen Haaren für einen volkstümlichen Schauspieler halten. Ein Komiker, typisch für Venetien und den Raum um Padua, aus dem er stammt. Das Lächeln zeichnet jedoch eine kreative Kochpersönlichkeit aus, der Freundlichkeit und Weisheit zu einem Charakterzug seiner Küche gemacht hat, die er im Dreisterne-Restaurant Le Calandre in Sarmeola di Rubano präsentiert.

Bei Tisch wird sogar philosophisch gescherzt. „Fede“ („Glaube“) heißt ein Dessert, bei dem der Gast vor einem leeren Teller sitzt. Wer daran glaubt, dass hier eine Speise serviert wurde, wird belohnt. Die Bedienung dreht den Teller um, und – siehe da – in der Fußvertiefung leuchtet eine mit Blattgold überzogene Crema bavarese auf.

Die Schönheiten der Zutaten

Das ist wie fragendes Lächeln, das sich auch im eleganten Signet der Alajmo-Familie ausdrückt. Denn unter den italienischen Starköchen ist Max Alajmo ein Philosoph. Er weiß um die Vergänglichkeit seines Tuns. Ist nicht jedes natürliches Ausgangsprodukt bereits vollkommen? Wie viele geschmackliche und substanzielle Möglichkeiten bietet allein ein Apfel! Wenn man ihn in einem Rezept verwerte, so der Philosoph, „verletze“ man seinen Reichtum. „Ich sage immer: Kochen ist ein Akt des Zwingens.“ Man könne „die Schönheiten der Zutaten“ nie als ganzes abbilden. Deshalb gehe es darum, möglichst viel aus den Ingredienzen „herauszuhören“. Das lateinische Wort „ingredit“ bedeutet „in die Materie eindringen“. Der Chefkoch als Dozent.

© Alajmo Group/Sergio Coimbra

Einfach und doch ein Genuss – Safran-Risotto

Wie in dem Safran-Risotto – ein Gericht, dass er seiner aus Süditalien stammenden Frau gewidmet hat. Tradition und Innovation vermischen sich auf für Alajmo geradezu typische Weise. Ausgangspunkt ist hier wie bei anderen Gerichten ein „Zuhören“. Safran zum Beispiel kommt süß in den Mund und erzeugt einen bitteren Abgang. Spiegelbildlich dazu verhält sich Lakritz: erst bitter, dann süß. Max greift zu einem Schreibstift und einem Blatt Papier. Safran sei eine Blüte, stünde gleichsam im Licht. Lakritz als Wurzel gehöre zum Dunkel. Auf dem Blatt skizziert er die Beziehungen: über der Erde, unter der Erde, Pfeile deuten die Geschmacksrichtungen an, weitere Zutaten werden punktiert.

Gleichzeitig Autor und Beobachter

Wenn jetzt im Risotto beide Teile zusammen kommen – hier zum Rezept – werden alle Seiten betont und ihre Gegensätze symphonisch vereint. Der schwere, vollgesogene Reis erhält zudem vom Lakritz, das ähnlich wie der Fenchel eine frische Note hat, eine angenehme Leichtigkeit. Durch Rosmarin und Weihrauchharz verlängert sich schließlich der Geschmack. „Als Köche sind wir einerseits Autoren des Gerichts gleichzeitig aber auch Beobachter“, sagt der Küchen-Philosoph über seine Kreation. Und dann, im Sommer, kommt als Krönung noch ein Klacks Lakritz-Sorbet dazu. Wer das je probiert hat, kann bestätigen: diese Philosophie schmeckt umwerfend.

Max, geboren 1974, stammt aus einer Familie von Köchen. Er wuchs in dem Restaurant Le Calandre unweit von Padua auf, in dem seine Mutter Rita in der Küche und sein Vater Erminio im Saal den Ton angaben. Einen hohen Ton, der Le Calandre 1992 mit einem Stern von Michelin belohnte. Derweil hatte Max nach der Hotelfachschule in Padua bereits auch Erfahrungen unter anderem bei Alfredo Chiocchetti (Ja Navalge, Moena/Trentino), Marc Veyrat (Auberge de l’Eridan, Veyrier-du-Lac/Auvergne) oder Michel Guérard (Les Près d’Eugenie, Eugénie-les-Bains/Aquitanien) gesammelt. 1993 kehrte er zu Mamma Rita in die Küche zurück, die er ein Jahr später allein verantwortlich übernahm. 1997 flog ihm der zweite Stern vom Michelin-Himmel zu. Und im November 2002 der dritte. Da war Max Alajmo 28 Jahre alt und der jüngste Koch aller Zeiten mit solch einer hohen Auszeichnung. Speisen wie getoastete Scampi mit Frischkäse, Saubohnen und Apfel, Paccheri-Nudeln mit rohem Fisch und einer Sauce aus Datteltomaten oder Zahnbrassen-Ravioli mit Pistazien-Molke lassen seitdem Gourmetherzen höher schlagen.

Ein Mozart der Herdplatten

Zur Philosophie seiner Küche gehört auch das Wohlbefinden des Gastes. Die Kleidung des Personals im Saal vom Sommelier bis zum Gehilfen geht – minimalistisch stilisiert – auf die Haustracht eines venezianischen Dogen zurück. Die trug der Doge, wenn er in seinen Privaträumen Gäste empfing. So soll sich der Gast in Le Calandre als „hochangesehener“ Besucher erleben dürfen, zugleich aber wie „zuhause“ fühlen.

Der „Mozart der Herdplatten“, wie die italienische Presse Max Alajmo genannt hat, ist Kreativ-Chef eines inzwischen verzweigten Familien-Unternehmens. Ihm zur Seite steht sein älterer Bruder Raf (Raffaele), der 1968 in Padua geboren wurde. Raf Alajmo hatte bereits dem Vater im Saal assistiert und sich dann als Sommelier ausbilden lassen. Heute ist er Geschäftsführer und maître des lieux der Alajmo-Group, zu der neben den Restaurants Le Calandre (Sarmeola di Rubano), La Montecchia (Salvazzano Dentro), Quadri (Venedig) das Bistro Amo (Venedig), das Caffè Stern (Paris) sowie ein Shop für Exzellenz-Produkte (Food, Design, Geschenkartikel) gehören. Demnächst sollen Restaurants in Mailand und Marrakesch folgen. Die Alajmo-Brüder haben auch zwei Gastronomie-Bücher herausgegeben, die man im Shop auf Italienisch, Englisch oder Französisch zu je 150 Euro erwerben kann: „In.gredienti“ (2007) und „Fluidità“ (2013) . „In.gredienti“ wurde 2007 als „Best Cookbook“ mit dem „Gourmand International – World Cookbook Awards“ ausgezeichnet. Was die Alajmos auch anpacken – es wird mit Sternen belohnt.

Die Identität der italienischen Küche

Zusammen mit anderen Kollegen wie Massimo Bottura, Heinz Beck oder Mauro Uliassi setzt sich Max Alajmo in der Vereinigung „Cavalieri della Cucina Italiana“ (Ritter der italienischen Küche) für den Erhalt der Kochkunst in Italien ein. Es geht darum, Traditionen gleichberechtigt neben Experimenten wach zu halten. Einerseits, so Cavaliere Max, sei die italienische Küche durch fremde Einflüsse groß geworden – man denke nur an die Pasta aus China, das Brot aus Ägypten oder die Gelati-Kultur aus dem arabischen Raum. Andererseits gehe sie ganz bewusst mit Zutaten lokaler Herkunft um. Sie habe eine „geographische Identität“, die es zu verteidigen gelte. Sein Wissen gibt der Chef an der Kochschule „Master della Cucina Italiana“ von Vicenza weiter. Eine Schule, „die ich auch gern besucht hätte.“

Von Le Calandre aus, wo alle Gerichte erdacht und ausprobiert werden, schlägt er den Takt ebenso für Restaurants etwa in Venedig und Paris an, die inzwischen zum Netzwerk der Alajmo-Group gehören – siehe nebenstehenden Kasten. Eine Herausforderung sei es, nicht nur für den eigenen Herd zu denken. „Das hält den Geist elastisch.“ Und zu erleben, wie die erprobten Rezepte von Kollegen interpretiert werden. Denn jedes Nachkochen sei ein Neukochen. „Auch bei mir: das Rezept mag gleich sein, aber das Ergebnis ist mit Nuancen von Abend zu Abend verschieden.“

© Cluverius

Safran-Risotto zwischen Hell und Dunkel – im Gespräch entworfene Gedanken-Skizze

Und dabei lächelt er wieder verschmitzt. Max Alajmo nimmt seinen Beruf mit der Überzeugung ernst, dass ohne Leichtigkeit jede Innovation seelenlos bliebe. Und dann signiert er die Skizze zum Safran-Risotto: ein Strichmännchen mit Clownsgesicht unter einer hohen Kochmütze.

Ristorante Le CalandreInfo

Zum Alajmo-Shop hier

Siehe auch den Beitrag in Essen + Trinken, Heft 11/2018