TEILE EINER MASCHINE


Ein Hamlet-Fragment am Piccolo Teatro für eine Oper nach
Heiner Müllers Bühnenvorlage

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Auf dem Weg zu einer Hamlet-Oper, die Ende 2016 in Moskau uraufgeführt werden soll – Regisseur Theodoros Terzopoulos

Mailand – Vor 20 Jahren starb am 30. Dezember 1995 der Dramaturg, Regisseur und Lyriker Heiner Müller wenige Tage vor seinem 67. Geburtstag. Ein Jahr zuvor war ihm der Europäische Theaterpreis verliehen worden. Hinterlassen hat er ein sperriges Werk, das sich inzwischen in der deutschen und europäischen Bühnenlandschaft schwer tut. Dennoch hat er Autoren, Regisseure und sogar bildende Künstler auch außerhalb des deutschen Sprachraums beeinflusst. So zeigte das Mailänder Piccolo Teatro gerade eine Raum-Installation des Arte-Povera-Künstlers Jannis Kounellis. Darin inszenierte der griechische Regisseur Theodoros Terzopoulos eine Performance unter dem Titel „Hamlet“. Kounellis und Terzopoulos  wollen mit dieser Hommage – unterstützt vom Mailänder Goethe-Institut –  nicht nur an sein Erbe erinnern, sondern es in ihre gegenwärtige Arbeit integrieren.

Europas Ruinen im Rücken

„Ich war Hamlet. Ich stand an der Küste und redete mit der Brandung BLABLA, im Rücken die Ruinen von Europa.“ Mit diesen Worten beginnt das Stück „Die Hamletmaschine“ von Heiner Müller aus dem Jahr 1977. Meist mit Rücken- oder Seitenteilen wenden sich alte Kleiderschränke auf der schmalen Bühne der Scatola Magica des Piccolo Teatro dem Publikum zu. Die Scatola Magica ist der kleinste Veranstaltungsraum des Mailänder Theaters. Zwischen Stühlen unterschiedlicher Herkunft, die etwa 40 Personen Platz bieten, stehen Nachtschränke mit angeschlagenen Waschschüsseln aus Emaille. Sie sind mit Wasser gefüllt. In jeder Schüssel liegt ein faustgroßer Stein, den kleine Goldfische umschwimmen. So zieht sich diese Installation des Italo-Griechen Jannis Kounellis, die sich am Eingangssatz der Hamletmaschine orientiert, von der Bühne bis ins Publikum. Europa – ein großes Blabla. Ein Schelm, wer da an die Gegenwart denkt.

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„Ich bin nicht Hamlet“ – Sophia Hill

Gleichsam sprachlos gibt sich dieses Europa auch in der Performance (20 Minuten) von Theodoros Terzopoulos. Der Regisseur lässt die Schauspielerin Sophia Hill zu elektronischer Livemusik von Panagiotis Velianitis Texte aus der Hamletmaschine mal in weiche, mal in schrille Töne zerlegen. Zieht sie auseinander oder verdichtet sie zu einem dramatischen Staccato. Terzopoulos geht es um eine Abkehr vom Realismus oder vom „neuen Naturalismus“. Mit Distanzierung und Verfremdung der Sprache. Dabei benutzt er nicht das Italienische oder das Griechische, sondern die deutsche Sprache. Diese werde, so Terzopoulos im Gespräch, von den Konsonanten getragen.“Die Konsonanten sind in der deutschen Sprache wie Säulen, Vokale stehen jeweils fest zwischen zwei von ihnen.“

Die Weggefährten

Der heute 70jährige Theodoros Terzopoulos gilt als einer der innovativsten Gegenwartsregisseure Europas. Als in Griechenland die Obristen herrschten, fand er Anfang der 1970er-Jahre in der DDR Zuflucht und arbeitete auch mit Heiner Müller zusammen. 1985 gründete er mit dem Attis-Theater (Delphi/Athen) eine eigene Bühne, die sich besonders der „Poesie der Klassiker“ widmet, wie er es nennt: „Immer mit Müller und mit Brecht in der Hand.“ Müller sei seinem Theater ganz nah. „Wir haben zum Beispiel die Klassiker mit Müller besser verstanden als mit anderen Autoren oder Regisseuren.“

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Jannis Kounellis

Heiner Müller verband eine lange Freundschaft mit dem inzwischen 79jährigen Jannis Kounellis, der in Piräus geboren wurde, aber bereits seit vielen Jahrzehnten in Umbrien und in Rom lebt. 1991 schuf Kounellis das Bühnenbild für eine Inszenierung von „Mauser“ am Deutschen Theater in Berlin.  Heiner Müller hatte immer ein Faible für Italien – und die italienischen Bühnen für ihn. Das galt aber weniger für die großen Häuser als für die experimentellen Theater, wie Peter Kammerer erzählt. Der Soziologe (Universität Urbino) gehört zusammen mit seiner Frau Graziella Galvani zu den Übersetzern einer italienischen Müller-Werkausgabe, die in den 1990er Jahren in Mailand bei den Edizioni Ubulibri erschienen ist. Es war also das „extrem neugierige Theatervolk der untersubventionierten kleinen Bühnen“, das sich auf Texte von Heiner Müller gestürzt hatte. Erst spät, kurz vor seinem Tod, kam Müller selbst ans Piccolo Teatro nach Mailand mit seiner Inszenierung von „Traktor“ (1994).

Rückkehr ans Piccolo Teatro

Jetzt ist er also in dieser Hommage durch seine alten Weggenossen ans Piccolo zurückgekehrt. Die Mailänder Performance ist zugleich eine Vorarbeit für eine moderne Oper nach Motiven der Hamletmaschine, die Terzopoulos Ende 2016 in Moskau herausbringen möchte und die anschließend auch nach Deutschland kommen soll. Dafür hat er bereits u.a. in Moskau eine vierzigminütige „Arie der Ophelia“ aufgeführt. Die Mailänder Performance soll als „Hamlet-Arie“ Eingang in die Oper finden. In der Hamletmaschine – „Müllers verrücktestes Stück“ (Kammerer) – mischen sich nicht nur die Mythen von Hamlet und Elektra. Auch spielt der Dramatiker in einer vielen Interpretationen offenen Vorlage, die sich total von seinem Lehrtheater löst, virtuos mit den Rollen. Rollen wie die „austauschbaren Teile einer Maschine“ (Terzopoulos), Das Schlusswort dieses Hamlet-Fragments artikuliert Sophia Hill ganz deutlich: „Ich bin nicht Hamlet.“

Siehe auch den Beitrag für den Deutschlandfunk (Kultur heute) vom 30.12.2015