„ICH MÖCHTE NICHT, DASS DIE SCALA EIN ELITÄRES INSTITUT IST.“


Die Accademia Teatro alla Scala (2): Ein Gespräch mit dem Intendanten Alexander Pereira über die Ausbildung an der Akademie, die Inszenierung einer Zauberflöte sowie über Publikumspflege von klein auf

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Alexander Pereira, Intendant der Mailänder Oper und Präsident der Scala-Akademie

Mailand – Der Wiener Kulturmanager Alexander Pereira leitet seit September 2014 in der Nachfolge von Stéphane Lissner das Teatro alla Scala. Zuvor war er Intendant der Oper Zürich (1991-2012) und der Festspiele Salzburg (2012-2014). Seit Jahren setzte er sich intensiv für die Förderungen des künstlerischen sowie des technischen Nachwuchses bei Bühnenberufen ein. Mit der Accademia Teatro alla Scala (siehe hier den Bericht auf Cluverius), der er auch als Präsident vorsteht, hat der 69jährige dafür ein ideales Betätigungsfeld gefunden. Fragen an Alexander Pereira:

Warum leistet sich das Teatro alla Scala eine Einrichtung wie Akademie?

Alexander Pereira: „Seit ihrer Anfangszeit fühlte sich die Scala verpflichtet, ihre eccellenza, ihre herausragende Qualität, an die neuen Generationen weiter zu geben. Eine Ballettschule gibt es seit 1813. Das hat sich nach und nach zu dieser wohl einmaligen Ausbildungseinrichtung erweitert. Wir haben die Gesangsklasse, das Opernstudium, ein Akademie-Orchester, Chor, Ballett, und neben dem rein Künstlerischen eine Ausbildung in allen wichtigen Bühnenberufen. Italien ist ein Land, das über die Jahrhunderte ein Bewusstsein für die Weitergabe von handwerklichem Wissen, von künstlerischen Fähigkeiten entwickelt hat. Und die Accademia Teatro alla Scala reiht sich in diese Tradition ein.“

Kann man den Erfolg der Ausbildung messen?

Pereira: „Im Schnitt finden 75 Prozent aller Abgänger auch eine Anstellung, bei einigen Bühnenberufen wie bei den Näherinnen, den Visagisten und Maskenbildnern sind das sogar fast 100 Prozent. Sie finden Jobs bei Bühnen und künstlerischen Einrichtungen vor allem in Italien aber auch in anderen Ländern Europa.“

Etwas Einmaliges auf der Welt

Wie wichtig ist dabei die enge Verbindung zwischen dem Theater und der Akademie?

Pereira: „Die ist entscheidend. Auf der ganzen Welt gibt es Theater und es gibt Konservatorien und/oder Musikhochschulen. Aber nur in Ausnahmefällen gibt es dort, wo jemand Musik studiert, eine Brücke zwischen den lokalen Bühnen und den Bildungseinrichtungen. Hier gibt es eine logische Verbindung zwischen Ausbildung und Bühnenpraxis. Und nicht nur weil ein großer Teil des Lehrkörpers aus Angehörigen des Theaters besteht. Ich habe das in diesem Jahr in einer Weise demonstriert, wie das bisher auf der Welt noch nicht gemacht worden war.“

„Die Zauberflöte“ der Accademia in der Inszenierung von Peter Stein als Regisseur und Adam Fischer als Dirigenten?

Pereira: „Das ist wohl das erste Mal, dass ein Theater von unserer Bedeutung – ich meine damit New York, London, Paris, Wien, Berlin – eine Aufführung einer Theaterschule mit dem gleichen auch finanziellen Aufwand umgesetzt hat wie ein eine Neuinszenierung des Repertoires. Wir haben diese Neuinszenierung der Zauberflöte in den Spielplan aufgenommen und im September zehn Vorstellungen in der Scala gehabt mit den Sängern der Accademia, dem Orchester der Accademia, dem Chor der Accademia, dem Ballett der Accademia, den Bühnen- und Werkstattmitarbeitern der Accademia.“

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Papageno (Till von Orlowsky) und Pamina (Fatma Said) in der Inszenierung der Zauberflöte von Peter Stein und Adam Fischer

Und der Aufwand hat sich gelohnt?

Pereira: „Die nationale wie internationale Kritik zeigte sich begeistert. Die zehn Vorstellungen waren praktisch ausverkauft. Und das im September, was sicherlich kein leichter Monat in Mailand ist. Projekte dieser Art kann man nur machen, wenn es eine ganz enge Verbindung, eine Brücke zwischen der Bühne und der Ausbildungseinrichtung gibt. Und ich bin stolz darauf, dass diese Brücke funktioniert und zu höchsten qualitativen Ergebnissen führen kann.“

Arbeit mit berühmten Dirigenten

Sie haben diese Verbindung, die es ja schon länger gibt, noch ausgebaut?

Pereira: „Ich bin nicht nur Intendant der Mailänder Scala, sondern ich bin auch Präsident der Accademia. Diese personelle Verbindung hat es vor mir nicht gegeben. Meine Entscheidung, auch den Präsidenten der Accademia zu machen, hat die Osmose gefördert. Inzwischen arbeiten die berühmtesten Dirigenten der Welt – Herr Mehta, Herr Weiser-Möst, Herr Eschenbach – mit den Musikern der Accademia. Das hat es vorher nicht gegeben.“

Zur Saisoneröffnung jetzt mit der ‚Madame Butterfly’ gab es nicht nur eine Voraufführung für Jugendliche, sondern auch zeitgleich Übertragungen der Premiere in Kinos, im Mailänder Gefängnis San Vittore, zum ersten Mal auch im ersten TV-Programm der RAI. Im Vorfeld wurden Konferenzen etwa mit Riccardo Chailly organisiert, das Museum der Scala zeigt eine Ausstellung über die Geschichte der Butterfly-Inszenierungen. Sie haben einmal gesagt, sie möchten die Scala zu einem Forum machen.

Pereira: „Ich möchte die Scala öffnen. Ich möchte nicht, dass sie ein elitäres Institut ist. Und der größte Erfolg überhaupt, der mir geschenkt worden ist, sind die Opern für Kinder.“

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Martin Summer (rechts) und Giovanni Sala in der für Kinder bearbeiteten „Entführung aus dem Serail“

Also es geht ihnen nicht nur um die Pflege des künstlerischen Nachwuchses, sondern auch um das Publikum der Zukunft?

Pereira: „Vor zwei Jahren habe ich damit begonnen, zunächst mit 9 Aufführungen einer ‚Cenerentola’. In diesem Jahr haben wir dann 33 Aufführungen gehabt. Vor allem von der für Kinder bearbeiteten ‚Entführung aus dem Serail’ wiederum mit Sängern und Musikern der Accademia. Im großen Saal der Scala mit seinen 2000 Plätzen sitzen dann jeweils 1700 Kinder und 300 Eltern. Wir haben also in diesem Jahr rund 56.000 Kinder und auch zusätzlich viele, viele Eltern zu unseren Besuchern zählen können. Übrigens Eltern, die wir vielleicht vor zehn Jahren verloren haben, weil wir nichts dafür getan haben, sie an die Oper heranzuführen. Und jetzt kommen sie mit ihren Kindern ins Theater und sehen, wie schön dieses Opernhaus ist und dass es sich lohnen könnte, auch mal eine reguläre Vorstellung zu besuchen.“