KREATIVE BEGEGNUNGEN AN DER LAGUNE


Im Deutsche Studienzentrum Venedig, das eine Brücke zwischen der deutschen Kultur und der des Mittelmeerraumes schlägt, finden Künste und Wissenschaften zusammen

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Stadt der Inseln, Ort für Begegnungen – Brückenschlag in Venedig

Venedig – Ein deutsches Studienzentrum in Venedig? In keinem anderen Land unterhält oder fördert der deutsche Staat so viele kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen im Ausland wie in Italien. Etwa in Rom die Villa Massimo zur Künstlerförderung oder das Deutsche Historische Institut für die Wissenschaften. Kunstgeschichtliche Studien werden an der Bibliotheca Hertziana (Rom) und am Kunsthistorisches Institut (Florenz) getrieben. Weniger bekannt ist dagegen das Deutsche Studienzentrum Venedig (DSZV), das 1972 als Ort der Begegnung zwischen italienischer und deutscher Kultur gegründet wurde. Das Studienzentrum wird vom Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien – gegenwärtig unter der Leitung von Monika Grütters – finanziert. Aber auch von Privateinrichtungen wie der Fritz Thyssen Stiftung Köln oder der Christiane Hackerodt Kulturstiftung Hannover unterstützt. Die Leitung wechselt alle drei Jahre. Kurz vor Weihnachten hat die neue Direktorin, die Literaturwissenschaftlerin Marita Liebermann, ihre Antrittsvorlesung gehalten.

Venedig ist eine auf Inseln gebaute Stadt. Das spürt man deutlich auf den vielen Brücken, die das urbane Gefüge wie Klammern zusammen halten. Um Brücken geht es auch PD Dr. Marita Liebermann, geboren 1973. Sie unterrichtete an der Universität Hannover, wo sie auch ausgebildet wurde, und zuletzt an der katholischen Universität Eichstätt. Sie ist Autorin u.a. der vielbeachteten Studie „Giacomo Casanova: die Geschichte seines Lebens“ (Peter Lang Edition 2006 noch unter ihrem Mädchennamen Marita Slavuljica). Die Literaturwissenschaftlerin hat „die Brücke“ zum Leitmotiv für die inhaltliche Arbeit der kommenden drei Jahre am Institut gewählt. Wobei es natürlich nicht nur um die materiellen Brücken geht, sondern vor allem um historische wie aktuelle Verbindungen zum Beispiel zwischen unterschiedlichen Ideen oder Religionen, Wirtschaftsräumen oder Kulturen. Brücken, so Marita Liebermann im Gespräch, sind ein Ausdruck für Vielfalt. Denn sie würden eine Verbindung schaffen, „ohne die beiden entgegen gesetzten Ufer zu einer homogenen Einheit zu verbinden.“

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Marita Liebermann, geboren 1973, die neue Direktorin des Studienzentrums

Venedig selbst ist ein Brückenstadt zwischen Orient und Okzident. Auf ihren Handelswegen wurden vom Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit Waren wie Ideen im östlichen Mittelmeerraum ausgetauscht. Venedig war Jahrhunderte lang eine Vielvölkerstadt, in der Verfolgte der unterschiedlichsten Religionen Schutz suchten. Und wo sie nicht integriert werden konnten oder wollten, wurden sie, wie es sich mit den Juden im Ghetto zeigte, immerhin geduldet. Heute stellen neue Formen der Verfremdung andere Herausforderungen.

Gesichter der Migration

Marita Liebermann, die auf den Historiker Romedio Schmitz-Esser folgt, sieht die Stadt in Geschichte wie in Gegenwart von verschiedenen „Gesichter der Migration“ herausgefordert, „zwischen den Extremen Flucht auf der einen Seite und Tourismus auf der anderen Seite.“ Gerade der Tourismus sei ja ein virulentes Thema. Tourismus möchte sie aber nicht nur als eine Geißel sehen, der die Stadt zerstört, sondern als etwas, das schon immer zu Venedig gehört hat und gestaltet werden kann. Bereitschaft zu differenzieren, die sei gefragt. Emotionalisierte Diskussionen, die bei Fragen der Emigration wie des Tourismus Untergangsstimmungen verbreiteten, würden nur in Sackgassen führen. Schließlich sei Venedig auch ein politisches und religiöses Zentrum, mit den Universitäten sei sie eine Stadt der Wissenschaften und mit ihren Biennalen und Kultureinrichtungen ein Ort der Künste.

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Palazzo Barbarigo della Terrazza – Sitz des DSZV

Das Studienzentrum, das am Canal Grande im Palazzo Barbarigo della Terrazza aus dem 16./17. Jahrhundert untergebracht ist, hat von Anfang an interdisziplinäres Arbeiten gefördert. Die neue Direktorin möchte jetzt nicht nur traditionelle akademische Disziplinen hinzuziehen, die zur Erforschung Venedigs und seiner historischen Territorien beitragen. Sondern auch interkulturellen Ansätzen wie den gender studies oder den postcolonial studies Raum geben. Und ebenso kulturwissenschaftlichen Studien, „die schon von ihrem Ansatz versuchen, verschiedene disziplinäre Annäherungen zusammen zu bringen.“

Etwas Schönes und Wichtiges

Dafür lädt man junge Wissenschaftler aber ebenso Künstler ein, hier mehrere Monate lang an einem selbst gewählten Projekt zu arbeiten. Zurzeit spannen sich Themen von der persische Astronomie des 15. Jahrhunderts über die Malerei eines Andrea Mantegna bis zum Architekten und Intellektuellen Gabriele Mucchi im 20. Jahrhundert. Aber auch ein musikalisches Projekt gehört dazu, eine Komposition für Klavier, Violine und Live-Elektronik, die Geräusche der Stadt als soziales Element mit einbeziehen will. Das Zentrum ist also ganz bewusst als Begegnungsort zwischen verschiedenen Geistes- und Kulturwissenschaften konzipiert worden, zu denen sich in einer zweiten Phase auch die Künste gesellt haben. In gemeinsamen Kolloquien, so Marita Liebermann, „ergeben sich Dinge, die sich vielleicht nicht ergeben würden, wenn man sich jetzt ausschließlich in wissenschaftlichen oder ausschließlich in künstlerischen Fachkreisen treffen würde.“ Das sei „etwas Schönes und Wichtiges“.

copyright M+M/DSZV

Provokativ – „Anello Grande (2017)“, ein Projekt der Künstlergruppe M+M

Heute findet man unter den jeweils 7 Stipendiaten immer auch 2 Künstlerinnen und Künstler. Anders als die Wissenschaftler, die sich an einen inhaltlichen Rahmen – Venedig und der von Venedig geprägte Mittelmeerraum – halten sollen, sind die Künstler in ihrer Projektwahl frei. Den Anfang machten Stipendiaten wie der Architekt Boris Podrecca (1979) oder der Filmemacher Herbert Brödl (1980). Später kam etwa der Fotograf Elger Esser (2001). Zum Jahreswechsel hat jetzt das deutsch-luxemburgische Künstlerduo M+M (Marc Weis und Martin De Mattia) eine Videoarbeit über Bewohner Venedigs abgeschlossen. Sowie mit einem Projekt über den Canal Grande als Ringstraße eine wundervolle künstlerische Provokation entwickelt. Und im April kommt die Bauhausabsolventin Anne Brannys, die gerade mit ihrem Buch „Eine Enzyklopädie des Zarten“ Furore gemacht hat.

Artist Talks mit Aperitif

Mit sogenannten „Artist Talks“ öffnet sich das Studienzentrum zur Stadt. Die Begegnungen mit den Künstlerinnen und Künstlern (Schriftsteller, Komponisten, Bildende Künstler und Architekten), die als Stipendiaten im Studienzentrum zu Gast sind, finden jeweils in deutscher und italienischer Sprache statt – bei einem anschließenden Aperitif gibt es Gelegenheit zum Austausch. Dazu kommen natürlich wissenschaftliche Vorträge und Tagungen. Im Juni etwa ein Symposium über – dreimal darf man raten – „Brücken“.

Das Studienzentrum, so auch der Mainzer Historiker Michael Matheus, der Vorsitzende des Trägervereins, ist in dieser Hinsicht unter den verschiedenen wissenschaftlich-kulturellen Einrichtungen Deutschlands im Ausland „etwas Besonderes“. In der Vergangenheit wurden allerdings nur sehr schmale Einzelzimmer angeboten. Künstlerinnen und Künstler, die häufig etwas älter sind, konnten Partner oder Familien bislang nicht mitbringen. Matheus zeigt sich dankbar, „dass wir dank der Mittel der Hackerodt-Stiftung auf der einen Seite und eines gezielten Zuschusses von Monika Grütters, die diese familienpolitische Komponente ganz bewusst fördern will, in der Lage sind, hier eine Dachgeschosswohnung anmieten zu können.“ Die soll ganz speziell Künstlerinnen und Künstlern zu Verfügung stehen – und ein Atelier wird es auch bald geben.

Zu den Brücken, die von Wissenschaftlern wie Künstlern geschlagen werden, gehören ebenso die zurück nach Deutschland. Kürzlich ist der Band einer Tagung des Studienzentrums erschienen, die sich mit dem Fest- und Kulturtransfer zwischen Venedig und Hannover („Musik und Vergnügungen am Hohen Ufer“) in der frühen Neuzeit beschäftigt hatte. Nicht nur die wissenschaftliche Herkunft der neuen Direktorin aus Hannover zeigt: Die Städte an Leine und Lagune liegen einander näher, als man auf den ersten Blick vermuten möchte.

Info: www.dszv.it/de/

Ein Beitrag zum Thema ist auf NDR Kultur (Journal) am 27.12.2017 gelaufen. Dem Thema widmet sich auch die KUNSTZEITUNG  in ihrer Ausgabe Nr. 258 (Berlin,Februar 2018).

Siehe auch auf Cluverius: „In gewisser Weise war Venedig auch ein toleranter Ort“. Ein Gespräch mit dem Historiker Romedio Schmitz-Esser