Die Fotografin Marianne Sin-Pfältzer – eine Erinnerung
Nuoro. Marianne bastelte gerne Schmuckstücke, Modeschmuck aus Holz oder Hämatit, Jade oder Onyx, und manchmal verkaufte sie auch das eine oder andere Stück auf kleinen Märkten. Das hätte mal ihr Beruf werden können, erzählte sie bei meiner letzten Begegnung mit ihr. In ihrer kleinen Wohnung in Nuoro hatte sie in vielen Schachteln „ihre Schätze“, wie sie die Schmuckarbeiten nannte, aufbewahrt. Marianne Sin-Pfältzer wurde 1926 in Hanau geboren. Nach dem Abitur kam sie zum Kunstgewerbe, weil sie nicht wie ihre Mutter, die ein Studio in Hanau betrieb, Fotografin werden wollte. Ihr Vater, ein Arzt, hatte während der Nazi-Diktatur mit Widerstandskämpfern vom Kreisauer Kreis sympathisiert, konnte aber der Verfolgung durch die Gestapo entgehen. Er starb bei einem Verkehrsunfall kurz nach Kriegsende.
Marianne traf 1950 mit der Fähre in Golfo Aranci ein, weil man ihr auf Sardinien eine Stelle als Babysitter angeboten hatte – deutsche Kindermädchen sind bis heute in bürgerlichen Kreisen auf der Insel begehrt. Sie blieb ein Dreivierteljahr, war begeistert von Sardinien, der Landschaft und den Menschen. Und weil sie eine Agfa Isolette dabei hatte, entdeckte sie schließlich doch noch ihre Liebe zur Fotografie. So kam sie nach München auf die Fotoschule und arbeitete anschließend für bedeutende Fotoagenturen. Unter anderem machte sie mit einer Bildserie über Picasso auf sich aufmerksam.
Augen, in denen sich Hoffnungen und Sorgen spiegeln
Aufträge führten sie auch immer wieder nach Sardinien, wo sie etwa den Spuren des Dichters Sebastiano Satta in und um Nuoro folgte. Als sie 1961 heiratete, ging die Hochzeitsreise natürlich auf die Insel. Die Ehe zerbrach, aber die Liebe zu Sardinien blieb. 1958 zeigte sie auf einer ersten Ausstellung in der Dante-Gesellschaft von Cagliari ihre Fotos, weitere Ausstellungen in Rom oder Hamburg, Paris oder London, Amsterdam oder München folgten. Sie hat mehrere Fotobücher herausgebracht mit vorwiegend Schwarzweißaufnahmen, die nicht nur den Zauber der Landschaft und der romanischen Kirchenarchitektur einfangen, sondern vor allem ein Zeitbild der Lebensverhältnisse der Menschen liefern. Männer auf Eseln, Frauen, die Wasserkrüge tragen, und viele Großaufnahmen von Gesichtern, von Augen, in denen sich Hoffnungen und Sorgen spiegeln.
Auf ihren Reisen, die sie meist allein unternahm, wurde sie immer als Frau respektiert. Und wenn sie zu Fuß unterwegs war, hat man ihr auch schon mal einen Esel zur Weiterreise angeboten, erzählte sie. Im hohen Alter zog sie sich schließlich ganz nach Nuoro. Im Ilisso-Verlag, wo sie ihr Fotoarchiv unterbringen und eine Veröffentlichung über Sardinien menschliche Landschaften (Herbst 2014) vorbereiten konnte, fand sie eine letzte Heimat. Das Fotografieren selbst hatte sie aufgegeben, nachdem man ihre geliebte Hasselblad mit der ganze Ausrüstung gestohlen hatte. Marianne Sin-Pfältzer starb in Nuoro am 27. August im Alter von 89 Jahren – wie ihr Vater – an den Folgen eines Verkehrsunfalls.
Siehe auch „Nach Sardinien bevor die Touristen kamen“