Eine Ausstellung in Venedig feiert die Sammelleidenschaft von Peggy Guggenheim als „letzte Dogaressa“
Venedig (Coll. Peggy Guggenheim bis 27.1.2020) – Die erste Biennale von Venedig nach dem zweiten Weltkrieg, an der 1948 nur 14 Nationen teilnahmen, wollte ein Zeichen setzen für die Freiheit der Kulturen und gegen die Barbarei der Diktaturen. Ein weiter Bogen vereinte Werke von Cézanne bis Chagall, von Turner bis Guttuso, von Ensor bis Klimt. Einen deutlichen Akzent von Gegenwartskunst setzte die New Yorker Sammlerin Peggy Guggenheim, die eingeladen war, einen Teil ihrer Kollektion unter anderem mit Kubisten und Surrealisten zu zeigen. Zur Sammlung gehörten auch Werke amerikanischer Künstler des sogenannten abstrakten Impressionismus, die zum ersten Mal nach Europa kamen. Allen voran Jackson Pollock („Jack the Dripper“) mit seiner revolutionären Methode, Farbe auf die am Boden liegende Leinwand zu tröpfeln.
Peggy Guggenheim hatte Venedig bereits mehrfach in der Vergangenheit bereist. Aber während des Aufenthalts zur Vorbereitung der Biennale verliebte sie sich endgültig in die Lagunenstadt. Zumal sie nach der Schließung ihrer New Yorker Galerie „Art of This Century“ (1947) auf der Suche nach einem Platz für ihre Sammlung – und neuen Abenteuern war. Noch 1948 erwarb sie am Canal Grande den Palazzo Venier dei Leoni, den sie nach ihren Vorstellungen umbauen ließ. Und 1949, vor 70 Jahren, bezog. Hier setzt die Ausstellung „Peggy Guggenheim. L’ultima Dogaressa“ ein. Der Titel („Die letzte Dogaressa“) spielt auf die Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Stadt 1972 an und darauf, dass sie mit ihrer exzentrischen Persönlichkeit die Kunstszene Venedigs prägte gleichsam der Frau eines Dogen.
Jährlich 400.000 Besucher
Peggy Guggenheim, 1898 in New York geboren, Erbin einer Industriellenfamilie, war reich, unabhängig und durch lange Jahre in der Pariser Boheme für ein ungebundenes Leben geprägt. Als Mäzenin liebte sie die Kunst – und viele Künstler. In Venedig fand sie in den späten 1940er Jahre ihren Lebensmittelpunkt. Hier starb sie 1979 im Alter von 81 Jahren. Begraben liegt sie neben ihren geliebten Hunden im Hof, im Skulpturen Garten ihres Palazzos. Gebäude und Kunstwerke hat sie der Solomon R. Guggenheim Foundation (New York) vermacht. Zu der inzwischen im Haupthaus eingerichteten festen Ausstellung des Palazzo Venier dei Leoni kommen jährlich rund 400.000 Besucher. Die Sonderausstellung in einem Nebentrakt feiert jetzt nicht den Mythos Peggy, sondern ihre Leidenschaft als Sammlerin, die sich frei zwischen allen Kunstrichtungen oder Nationalitäten bewegt hat. Europäische Künstler (Frankreich,England, Italien) aber natürlich ihre amerikanischen Freunde und Blicke nach Japan. Abstrakte Malerei oder kinetische Kunst.
Nach einer Hommage an Pollock und die Biennale-Ausstellung wird der Teil ihrer Kollektion zusammengefasst präsentiert, den Peggy während ihrer Zeit in der Lagunenstadt zwischen 1949 und 1979 ansammeln konnte. Rund 60 Werke – Skulpturen, Gemälde oder Arbeiten auf Papier – etwa von Asgar Jorn und der Gruppe CoBrA (Copenhagen, Brüssel, Amsterdam), von Francis Bacon oder Friedensreich Hundertwasser. Auch von Grace Hartigan, der einzigen Frau, die sich in der Männerwelt der US-Szene hatte durchsetzen können. Skulpturen von Alberto Giacometti bis Alexander Calder und Henry Moore. Oder die abstrakt-poetischen Bilder von Kenzo Okada.
Ein Kunstkoffer von Duchamp
Bekannte Arbeiten, die wie die des Belgiers René Magritte bereits Bestand der festen Ausstellung waren, stehen neben unbekannten zum Beispiel vom Franzosen René Bro. Die Lücken, die so in die feste Ausstellung gerissen wurden, haben im Haupthaus Werke aus dem Fundus gefüllt. Darunter ein gerade restaurierter „Kunstkoffer“ („Boîte-en-Valise“) von Marcel Duchamp (1941). Insgesamt sind in Venedig zurzeit über zwei Drittel des gesamten Sammlungsbestandes zu sehen. „So viel wie noch nie“, bestätigt die Direktorin Karole P. B. Vail, eine Enkelin von Peggy. „Es war mir einfach wichtig, 40 Jahre nach ihrem Tod, die Kraft dieser Sammlung herauszustellen.“
Zum ersten Mal werden auch einige Seiten von Peggys Scrapbooks gezeigt, ihrer Alben, in die sie Zeitungsausschnitte, Texte, Fotos, oder Briefe geklebt hatte. Dokumente, die helfen können, Peggy Guggenheims exzentrische Persönlichkeit besser zu verstehen.
Peggy Guggenheim. L’ultima Dogaressa. Collection Peggy Guggenheim, Venedig, bis 27. Januar. Tgl. außer Di 10-18 Uhr. Info hier
Ein ähnlicher Beitrag ist erschienen in der Stuttgarter Zeitung am 25.9.2019. Im Norddeutschen Rundfunk (NDR Kultur) lief ein Info-Stück am 20.9.
Siehe auf Cluverius die Besprechung der Peggy-Guggenheim-Biographie „Ich bin eine befreite Frau“ von Annette Seemann