Traditionell wird die italienische Buchmesse, der Salone del Libro, jeweils Mitte Mai in Turin veranstaltet. Nun plant der Verlegerverband ab Mitte April kommenden Jahres eine eigene Messe in Mailand abzuhalten. Turin will jedoch nicht zurückstecken.
Mailand – In Italien streitet man sich um die nationale Buchmesse. Bislang gibt es eine Hauptmesse, veranstaltet von einer regionalen Kulturstiftung jeweils Mitte Mai in Turin. Neben diesem Salone del Libro organisiert der Verlegerverband jährlich Anfang Dezember eine Messe für kleinere und mittlere Verlage in Rom, die größte Veranstaltung dieser Art in Europa. Im kommenden Jahr wird eine dritte nationale Messe dazu kommen, die jetzt in Mailand unter dem Titel Tempo di Libri – „Bücherzeit“ – vorgestellt wurde. Sie wird wie die römische Veranstaltung vom Verlegerverband organisiert, der sich bei der Durchführung des Turiner Salone nicht ausreichend repräsentiert fühlt. Tempo di Libri soll das erste Mal Mitte April kommenden Jahres in Mailand nur vier Wochen vor dem Salone in Turin abgehalten werde.
Mailand ist die Bücherhauptstadt Italiens. In Mailand und der Lombardei werden jährlich rund 20.000 Titel hergestellt, das entspricht einem Drittel der gesamten Buchproduktion des Landes. Hier sind Verlage wie Mondadori, die Gruppe Mauri Spagnol oder Feltrinelli zu Haus und hier hat auch der Verlegerverband seinen Sitz. Vor knapp 30 Jahren kam man aber im benachbarten Turin auf die Idee, eine nationale Buchmesse, die es bis damals nicht gab, zu organisieren. Das wurmt einige Mailänder bis heute.
Der Haussegen hängt schief
Zwischen dem Verband und den Veranstaltern des Salone del Libro di Torino, hing schon seit geraumer Zeit der Haussegen schief. Nun ist es zum Bruch gekommen. Dazu Marco Zapparoli vom unabhängigen Mailänder Verlag Marcos y Marcos: „Auf der einen Seite hält der Turiner Salone bis heute an der seit Jahren praktizierten Formel einer reinen Verkaufs- und Veranstaltungsmesse fest, bei dem die Verleger aufgefordert werden, ihr Publikum zu treffen. Dagegen wünscht der Verlegerverband strategisch eine mehr professionelle Ausrichtung und will jetzt für die nationale Buchmesse ein neues Kapitel an einem anderen Ort aufschlagen.“
Und dieser andere Ort kann natürlich nur Mailand sein. Turin stand für laute, fröhliche Messetage mit Buchvorstellungen und Diskussionsveranstaltungen. Doch zeigte der Salone Ermüdungserscheinungen. Der Publikumszuspruch ging zurück, Besucherzahlen wurden geschönt und es kam zu undurchsichtigen Vorgängen in der Verwaltung. Inzwischen ermittelt die Justiz wegen Korruptionsverdacht gegen mehrere Mitglieder der regionalen Kulturstiftung, die den Salone del Libro veranstaltet, sowie gegen einige Lokalpolitiker.
Es mangelt an Sensibilität
Der Verlegerverband, der eine Erneuerung der Turiner Messe und mehr Einfluss forderte, wurde von der Stiftung, die ihre zentrale Rolle behalten wollte, zurückgewiesen. Ein Vermittlungsversuch des Kulturministeriums scheiterte. So entschloss sich der Verband kurzerhand die neue Messe ins Leben zu rufen. Marco Zapparoli ist über diese Entwicklung nicht glücklich: „Einerseits fehlte in Turin die notwendige Sensibilität, um auf die Verlegerinteressen einzugehen. Auf der anderen Seite handelte man vielleicht im Verband vorschnell. Ich hätte es bevorzugt, wenn der Dialog mit Turin weiter gegangen wäre.“
Auf der Vorstellung der neuen Messe am vergangenen Mittwoch in Mailand wurden die Umrisse der Veranstaltung im April 2017 deutlich. Rund 400 Verlage sollen ihre Neuigkeiten in zwei Hallen des Messezentrums Mailand-Rho auf 35.000 Quadratmetern präsentieren. Man rechnet mit 70 bis 80 Tausend Besuchern auf der Messe und rund 100 Tausend bei den Nebenveranstaltungen in der Stadt. Verbandspräsident Federico Motta hofft, dadurch dem stagnierenden Büchermarkt in Italien „neue Impulse“ zu geben.
Eine unabhängige Messe
Anders als beim Salone del Libro, wo der politische Einfluss der Stadt Turin und der Region Piemont bestimmend ist, wird die neue Messe unabhängig von Einrichtungen der öffentlichen Hand rein privat organisiert. Die Anfangsinvestitionen werden zwischen 2 und 3 Millionen Euro liegen. Nach drei Jahren möchte man schwarze Zahlen schreiben.
Nach der kurzen Vorbereitungszeit blieben die Vorstellungen für das Programm 2017 verständlicherweise noch etwas vage. Man möchte sich mehr dem professionellen Austausch widmen, die Buchhändler und Bibliothekare mit einbeziehen und sich den neuen Medien öffnen. Ein besonders Augenmerk soll der Leseförderung von Kindern und Jugendlichen „0 bis 18“ gewidmet werden. Mailand will an den Abenden ein kulturelles Rahmenprogramm initiieren, das ähnlich wie bei der Design-Messe die ganze Stadt in Bewegung bringen soll. Und schließlich möchte man von 2018 an Sonderveranstaltungen in Süditalien ausrichten.
Aber warum nicht doch gemeinsam?
Aber: hätte man Ähnliches nicht auch gemeinsam in Turin auf die Beine stellen können? Oder zeitgleich in Mailand und Turin. Mit dem Zug liegen beide Städte nur 50 Minuten voneinander entfernt. In Italien wird der Konkurrenzkampf eher mit Kopfschütteln registriert. Viele Autorinnen und Autoren, wie Valeria Parella oder Alessandro Baricco, die sich im Bad der Menge des Turiner Salones immer wohl gefühlt haben, reagieren verstört. Sie würden niemals nach Mailand zur Messe fahren, sagen sie.
Auch innerhalb des Verlegerschaft hat es Widerspruch gegen die Verbandspolitik gegeben. Rund 80 vor allem kleinere und mittlere Unternehmen – darunter Nottetempo (Rom) oder der Verlag von Elena Ferrante edizioni e/o (Neapel) – haben eine Vereinigung zur Unterstützung der Turiner Messe gegründet. Dazu kommen Verlage wie Sellerio (Palermo), die bereits länger außerhalb der AIE stehen. Sie fürchten auf einer von den Großverlagen dominierten Mailänder Messe unter zu gehen.
Ein leseschwaches Land
Präsident Federico Motta sieht dennoch keine Gefahr der Spaltung des Verbandes, der 1869 gegründet wurde und zu den ältesten seiner Art auf der Welt gehört. In der AIE sind 90 Prozent aller rund 5000 Verlage Italiens (1300 davon produzieren mindestens zehn Bücher pro Jahr) organisiert.
Italien ist ein leseschwaches Land, nicht einmal jeder Zweite nimmt pro Jahr wenigstens ein Buch in die Hand. Da täten zwischen allen Beteiligten koordinierte Aktionen gut. Zumindest eine zeitliche Trennung der Messetermine zwischen Mailand und Turin – etwa so wie zwischen Frankfurt und Leipzig.
Info: Associazione Italiana Editori
Messe Tempo di Libri (Mailand)
Salone Internazionale del Libro (Turin)
Siehe auch den Beitrag für den Deutschlandfunk (6.10.16)
Zum Hintergrund auf Cluverius: Der Salone taumelt