Fondazione Prada (1): Die Kulturstiftung des Mailänder Modehauses wurde 1993 gegründet. Ein Gespräch mit der Programmleiterin Astrid Welter
Mailand – Vor 25 Jahren riefen Miuccia Prada und ihr Ehemann Patrizio Bertelli in Mailand die Fondazione Prada ins Leben. Die Kulturstiftung des Modehauses könnte also jetzt ein kleines Jubiläum begehen. Doch, so die Programmdirektorin Astrid Welter: „Wir feiern nicht.“ Gefeiert wird dagegen etwas anderes, nämlich die Fertigstellung eines 60 Meter hohen Turms („Torre“) aus weißem Beton und Glas auf der Ausstellungsanlage der Fondazione nach Plänen von Rem Koolhaas, „den wir Ende April einweihen wollen.“ Ein Gespräch mit Astrid Welter am Rande der Ausstellung „Post Zang Tumb Tuum – Art Life Politics Italia 1918-1943“ (Zur Ausstellung siehe hier auf Cluverius).
Vor 25 Jahren hat die Fondazione Prada angefangen, Sie haben ein kleines Jubiläum…
Astrid Welter: „… das wir aber nicht feiern.“
Wie hat alles angefangen, was war die Idee dahinter?
„Ein Vierteljahrhundert ist vergangen, ein langer Zeitraum. 1992/93 waren zeitgeschichtlich wichtige Jahre für die Stadt Mailand. Das waren die Jahre von ‚mani pulite’, also die Aufdeckung der Korruptionsskandale. Die Stadt war im Umbruch, aber zugleich herrschte eine depressive und düstere Stimmung, wie Patrizio Bertelli, der Ehemann von Miuccia Prada, es mal beschrieben hatte. Prada war damals ein stark wachsendes Unternehmen. Nicht weit außerhalb des Zentrums hatte man kurz zuvor das Gebäude einer alten Druckerei renovieren lassen, um es für Modeschauen zu benutzen. Das war zu der Zeit noch ein neues Feld für die Gruppe Prada, das bislang vor allem Lederwaren, also Taschen und Schuhe hergestellt hatte.“
Wie viele Modeschauen im Jahr gab es denn?
„Genau das war der Ausgangspunkt. Diese Anlage für Modeschauen wurde nämlich nur zweimal im Jahr genutzt. Viel zu schade, sagten mit der Familie Prada befreundete Künstler und Intellektuelle, die Räume seien viel zu schön, um lange leer zu stehen. Sie seien ideal, um große Installationen und Skulpturen auszustellen. Und dann haben Frau Prada und Herr Bertelli darüber nachgedacht. Und gesagt, das machen wir jetzt mal. Ziel war es, einen Raum für Skulpturen der Gegenwartskunst zu schaffen, den es damals in Mailand nicht gab.“
„Das Grobe war noch ungewöhnlich“
Und die Reaktionen?
„Das Grobe, das Industrielle als Rahmen für große Skulpturen, das war damals noch ungewöhnlich. Das kam gut an. Und die ersten Ausstellungen waren eine Ansage: Eliseo Mattiacci, Nino Franchina, David Smith. Inzwischen hatte man auch beschlossen, dass diese Aktivitäten am besten in einer Stiftung aufgehoben werden, so wurde die Fondazione Prada aus der Taufe gehoben. Und Germano Celant als künstlerischer Leiter gewonnen. Von da aus ging es richtig programmatisch zur Sache mit zwei großen Ausstellungen pro Jahr.“
Zum Beispiel?
„Internationale Künstler, die in Italien – wenn man einmal von der Biennale absieht – noch nie ausgestellt hatten. Anish Kapoor zum Beispiel. Aber auch Michael Heizer, Louise Bourgeois, Walter de Maria. Also die großen internationalen Künstler, amerikanische Concept art, Land art. Und dann die Jüngeren wie Mariko Mori, Sam Taylor-Wood, Steve McQueen, Andreas Slominski, Tobias Rehberger und Carsten Höller. Das wurde die Mischung, mit der wir bis Anfang der 2010er Jahre gewirtschaftet haben.“
Welche Rolle spielte die Sammlung Prada dabei?
„Die Sammlung stand uns eigentlich gar nicht zur Verfügung. Die Sammelleidenschaft von Frau Prada und Herrn Bertelli lief nebenbei. Auf unseren Ausstellungen wurden nur in Ausnahmefällen Stücke aus der Sammlung gezeigt. Bei einer Retrospektive von Enrico Castellani mit etwa 80 Exponaten, da waren 6 oder 7 Castellani aus der Sammlung dabei. Ähnlich bei Paolini. Aber in Regel haben wir ja Ausstellungen gemacht, in denen neue Werke produziert oder neue Arbeiten von Künstlern gezeigt wurden. Ausstellungen, die nichts mit der Sammlung zu tun hatten.“
„Immer wieder neue Ansätze“
Das könnte sich jetzt ändern?
„Wir feiern nicht die 25 Jahre der Fondazione, aber in dem von Rem Koolhaas umgestalteten Komplex an der Piazza Isacro ist jetzt auch der von Koolhaas entworfene Turm fertig geworden, den wir Ende April einweihen werden. Der kommt jetzt zur Programmgestaltung hinzu. Und im Turm werden Teile der Sammlung permanent zu sehen sein – semi-permanent, denn es wird auch Umhängungen, immer wieder neue Ansätze geben. Aber mit der Eröffnung des Turms wird die Sammlung Teil unseres Programms werden.“
Die gegenwärtige Ausstellung über Kunst, Leben, Politik in Italien zwischen den beiden Weltkriegen nimmt den größten Teil der Ausstellungsfläche der Anlage ein. Wie ist es zu diesem Thema gekommen?
„Diese Ausstellung mit ihrem zeitgeschichtlichen Rahmen geht auf den Wunsch zurück, dass sich unsere Stiftung nicht ausschließlich nur um zeitgenössische Kunst kümmern soll, sondern auch um Kultur im weitesten Sinne. Das haben wir 2015 bereits in der Eröffnungsausstellung „Serial Classics angesagt, die von dem Archäologen und Kunstkritiker Salvatore Settis kuratiert wurde mit Leihgaben aus dem ersten und zweiten Jahrhundert n. Chr. Das war schon mal ein großes ‚mission statement‘. Zurückzublicken ist eine Sache der wir uns zuwenden wollen.“
In der Methodik baut die gegenwärtigen Ausstellung auch auf ein Erinnern der Ausstellungspraxis zwischen 1918 und 1943 auf.
„Ja, und da hatten wir ebenfalls einen Vorläufer, nämlich ‚When attitudes become form‘ 2013 in Venedig. Das war ja eine Rekonstruktion der legendären Ausstellung von Harald Szeemann in Bern. In der genauen Bestimmung der historischen Umstände, wie Kunst gezeigt wurde, hat sie viel gemeinsam mit der, die wir gerade eröffnet haben. Mit ‚When attitudes become form‘ hatten wir ja die Räume der Kunsthalle Bern in unserem Palazzo Ca’ Corner della Regina gleichsam nachgebaut, um 80 Prozent Kunstwerke von der Szeemann-Ausstellung so positionieren zu können, wie sie in der Kunsthalle Bern positioniert waren. Dem war eine große Recherche vorausgegangen. Und Ähnliches ist jetzt wieder passiert. Germano Celant bietet 24 Rekonstruktionen an, also große, teilweise begehbare Fotografien, in denen dann unsere Leihgaben dort hängen, wo sie vor fast hundert Jahren gehängt haben. Unter Respektierung also, wie damals gehängt worden war. Damals gab es ja oft keine Kuratoren, sondern nur Ausstellungsorganisatoren, oder es waren die Künstler selber, die tätig wurden. Das zu zeigen, ist ja eines der Anliegen der Ausstellung.“
Das Gespräch wurde Ende Februar in Mailand in der Fondazione Prada geführt.
Zur Person Astrid Welter:
Nach Abschluss ihres Studiums an der Universität Mailand mit einer Arbeit über junge britische Künstler arbeitete Astrid Welter mit zahlreichen internationalen Galerien als Projektmanagerin zusammen. Seit 1997 entwickelt sie das künstlerische Programm der Fondazione Prada. Sie betreute den Bau des neuen Veranstaltungsortes der Kulturstiftung (Umbau einer alten Fabrikanlage nach Plänen von Rem Koolhaas/OMA). Dort ist sie nach der Fertigstellung 2015 als Head of Programs tätig wie auch an der zur selben Zeit entstandenen Niederlassung der Fondazione Prada in Venedig (Palazzo Ca’ Corner della Regina).
Nachtrag: Der Turm (60 Meter hoch) ist eingeweiht
Mehrere Stockwerke sind Ausstellungsräumen gewidmet, dazu kommen Serviceeinrichtungen und ein Restaurant. Mit einem Panoramaaufzug erreicht man die Dachterrasse mit einem atemberaubenden Blick auf die Mailänder Skyline und – bei klarem Wetter – die Alpen.
Jetzt kann man sehen, was die Pradas so sammeln: Arbeiten von Damien Hirst – unter anderem die mit schwarzen Fliegen bedeckte Riesenleinwand („The Last Judgement, 2002) – bis Jeff Koons („Tulips“, 2004), von Edward Kienholz bis Mona Hatoum oder Pino Pascali. Im Restaurant speist man vis-a-vis William N. Copley, Lucio Fontana und Carsten Höller.