Die „Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten“ in 45 Bänden neu übersetzt und kommentiert
Mailand/Berlin – Dieses verlegerische Ereignis ist entweder nur mit einem Satz oder nur mit einem längeren Essay zu fassen. Zwischenformen wären fehl am Platz. Der Satz lautet: Mit dem Band über Cimabue, Giotto und Pietro Cavallini ist im Verlag Klaus Wagenbach die Herausgabe einer Neuübersetzung und Kommentierung der „Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten“ von Giorgio Vasari nach der Fassung von 1568 in einer preisgünstigen Ausgabe im Taschenbuchformat abgeschlossen. Punkt.
Weil der Satz zugegeben ein bisschen schwerfällig wirkt, hier nur ein paar fußnotenartige Anmerkungen. Die moderne Kunstgeschichte als Wissenschaft beginnt mit den Künstlerbiographien („Le vite“) von Giorgio Vasari (Arezzo 1511 – Florenz 1574). Der Autor, selbst Maler und Architekt, sammelte Daten, Historien und Kommentare über Lebensläufe italienischer Künstler vor allem aus Mittelitalien aber auch aus Venetien vom ausgehenden Mittelalter bis in seine Zeit – und beschrieb sich natürlich selbst gleich mit. Wobei er die Theorie einer „Erweckungsgeschichte“ der Kunst vom dunklen Mittelalter zum hellen Licht seiner Gegenwart formulierte. Auf Vasari geht der Begriff der Gotik ebenso zurück wie der des „Rinascimento“ (Wiedergeburt), der im Deutschen durch die französische Bezeichnung „Renaissance“ Karriere gemacht hat.
Mit Anekdoten und Seitenhieben
Die deutsche Fassung dieses auch literarisch beeindruckenden Opus mit viel Lokalkolorit, Anekdoten und Seitenhieben beruhte bis jetzt auf einer teilweise lückenhaften Übersetzung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. In der letzten italienischen Edition von 1987 fehlten streckenweise kunsthistorische Kommentare. Hier Abhilfe zu schaffen, fanden im Jahr 2004 der Verleger Klaus Wagenbach und der Kunsthistoriker Alessandro Nova zueinander. Nova, damals Professor an der Universität Frankfurt, heute Mitdirektor des deutschen Kunsthistorischen Instituts Florenz, hatte bereits mit seinen Studenten erste Vorarbeiten für eine kritische Neuübersetzung und eine aktuelle kunsthistorische Kommentierung geleistet. Und er war bereit, Wagenbachs Bedingungen zu erfüllen. Dazu gehörten ein Einführungstext zu jedem Künstler nach heutigem Stand der Erkenntnisse, eine Angabe des Zustands (oder der Zerstörung) der Kunstwerke und eine Liste der Orte, wo man sie heute findet. Vor allem aber sollte Vasaris Gesamtwerk in Einzelbänden als Paperback erscheinen, um einen großen Kreis von Interessierten bis hin zu Kunstreisenden anzusprechen. Eine „Edition für Leser“ also, wie sie die Lektorin Susanne Müller-Wolff in einem Supplementband nennt.
In elfjähriger Arbeit haben Alessandro Nova und seinem Team (Matteo Burioni, Katja Burzer, Sabine Feser und Hanna Gründler) nach und nach 45 Bände mit 107 Künstlerbiographien herausgegeben, die Victoria Lorini neu übersetzte. Entgegen der ursprünglichen Absicht, lediglich eine Auswahl der „Vite“ zu veröffentlichen, wurde so rund 80 Prozent des Gesamtwerkes erschlossen. Also nicht nur Leonardo, Michelangelo, Tiziano und Co, sondern auch das Leben des Verrocchio und der Gebrüder Pollaiuolo, um nur einen Band zu nennen. Und die Arbeit geht weiter. Die restlichen Lebensbeschreibungen – darunter die von Vittore Carpaccio – sollen allerdings bis 2019 ausschließlich als E-Book publiziert werden.
Klaus Wagenbach, der in den 1950er-Jahren als Student der Kunstwissenschaft Italien (und vor allem die Toskana) mit dem Fahrrad bereiste, hat sich mit dieser Edition ein Denkmal geschaffen. Sie wird als der „Wagenbach Vasari“ in die Geschichte eingehen. Und für lange Essays sorgen.
Giorgio Vasari: Das Leben des Cimabue, des Giotto und des Pietro Cavallini. Neu ins Deutsche übersetzt von Victoria Lorini. 284 Seiten, 16,90 Euro.
Edition Giorgio Vasari. Supplement. Mit einem Verzeichnis aller Künstler. Herausgegeben von Susanne Müller-Wolff und Alessandro Nova. 85 Seiten, 10,90 Euro.Beide Bände im Verlag Klaus Wagenbach, Berlin
Siehe auch den Bericht zur Mailänder Giotto-Ausstellung sowie das Gespräch mit Hans Belting