Carl Wilhelm Macke


„EIN GROLLEN – UND DIE WELT IST EINE ANDERE“

Gastautor Carl Wilhelm Macke im Gespräch mit Esther Kinsky anlässlich der italienischen Edition ihres Romans „Rombo“

Eine Anwohnerin bei ersten Räumungsarbeiten in ihrem Heimatdorf – Im Frühjahr und im Herbst 1976 wurde die italienische Region Friaul-Julisch Venetien durch mehrere Erdbeben erschüttert. Mehr als 100.00 Menschen in 77 Gemeinden waren von den Zerstörungen betroffen.

Mailand ­– Der Mailänder Verlag Iperborea hat gerade Esther Kinskys Roman „Rombo“ in der italienischen Übersetzung von Silvia Albesano  veröffentlicht. Die vielstimmige Erinnerung an die schweren Erdbeben, die 1976 mehrfach das Friaul erschütterten, war im Original vergangenen Herbst bei Suhrkamp erschienen und von der Kritik teils überschwänglich gelobt worden. Auch die ersten italienischen Reaktionen (u. a. Tutto Libri/La Stampa, La Letteratura/Corriere della Sera) waren positiv. Esther Kinskys Roman gehört außerdem zusammen mit Arbeiten von Emmanuel Carrère (Frankreich), Johanne Lykke Holm (Schweden)  Andrei Kurkov (Ukraine) und Burhan Sömez (Türkei) zur Endauswahl des X. Premio Strega Europeo, der am 21. Mai auf dem Salone Internazionale del Libro verliehen wird. Aus Anlass der italienischen Ausgabe von „Rombo“ sprach der Publizist Carl Wilhelm Macke (München/Ferrara) mit Esther Kinsky.

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DER GLANZ DER DINGE

Carl Wilhelm Macke:
Claudio Magris zum 80. Geburtstag

© Hanser Verlag/Peter-Andreas Hassiepen

Herzlichen Glückwünsch! Claudio Magris, 80 Jahre am 10. April

Ferrara/München/Triest – „Das ist das Dumme an Erinnerungen“, sagte der kürzlich verstorbene Wilhelm Genazino einmal, „eine einzige würde mir genügen, aber es überfallen mich gleich Dutzende.“ Um Claudio Magris zu seinem 80.Geburtstag zu gratulieren, reicht mir ein einziger autobiographischer Rückblick...

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DAS GRAS DER JUGEND

Carl Wilhelm Macke:
Zum 100. Geburtstag des italienischen Schriftstellers und Bücherfreundes Alberto Vigevani

Einladung zu einer Tagung über Alberto Vigevani an der Universität Mailand 2009

Einladung zu einer Tagung über Alberto Vigevani an der Uni Mailand 2009

Ferrara/Mailand - Verstreut über die Jahrzehnte zwischen der Endzeit des italienischen Faschismus und den späten neunziger Jahren des XX. Jahrhunderts wurden von Alberto Vigevani, der am 1. August 1918 in Mailand geboren wurde und dort 1999 starb, insgesamt 16 dreißig Prosabände veröffentlicht. In deutscher Sprache liegen bislang nur wenige Erzählungen von Alberto Vigevani vor. Im Jahre 2007 erschien in der Friedenauer Presse der „Sommer am See“. Zusammengefasst in einem Band kamen dann zwei Jahre später die beiden Erzählungen „Ende der Sonntage“ und „Brief an Herrn Alzheryan“ und zuletzt der Roman „ La Belle – ein Trugbild“ heraus. In der professionellen Literaturkritik fanden diese Texte – in der Übersetzung von Marianne Schneider – ein einhellig positives, ja enthusiastische Echo. Dass Vigevani dadurch einem größeren Lesepublikum bekannter geworden ist, darf man allerdings bezweifeln.

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EIN KLEINER WINKEL AM RANDE

Ferrara zwischen Mussolinis Rassengesetzen, der deutschen Besatzungszeit und dem Kampf um Erhaltung der Kulturgüter nach dem Krieg. Carl Wilhelm Macke erinnert an den Avvocato Paolo Ravenna

copyright CW Macke

Paolo Ravenna 1926 -2012

FerraraSlargo Avvocato Paolo Ravenna steht auf dem Straßenschild. Im Deutschen könnte man Slargo vielleicht mit „Ausbuchtung“ oder „Verbreiterung“ übersetzen. Ungefähr auf der halben Wegstrecke von Ferraras wunderbaren Renaissancestrasse Via Ercole Primo, unmittelbar nach dem Ausstellungszentrum im Palazzo Diamanti und in der Nähe jener versteckt liegenden Grundstücke, wo sich vielleicht der Garten der Finzi Contini befunden haben könnte, stößt man auf einen solch kleinen, unscheinbaren Slargo. Wahrlich keine spektakuläre Piazza - und in Tourismusführern wird man vergeblich nach ihm suchen. Wer aber war dieser Avvocato Paolo Ravenna – in Ferrara 1926 geboren und 2012 ebenda gestorben – an den hier mit der ihm angemessenen Nüchternheit seit Anfang des Jahres 2018 erinnert wird?

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„MICH INTERESSIERT DER RAND MEHR ALS DAS ZENTRUM“

Carl Wilhelm Macke im Gespräch mit Esther Kinsky, die ihrem Buch „Hain. Ein Geländeroman“ drei eher unbekannte Landstriche Italiens zum Sprechen bringt

copyright Carl Wilhelm Macke

Melancholie der Po-Ebene - Wallanlagen von Ferrara

Ferrara/München - Mit dem Buch „Hain. Ein Geländeroman“ von Esther Kinsky werden viele Buchhändler ganz besondere Probleme haben. Stellt man das Buch nun in die Abteilung mit Reiseführern durch Landschaften Italiens? In den Überschriften der drei Kapitel werden die Etappen des Aufenthalts der heute 61jährigen Autorin in Italien genau angegeben: Olevano nordöstlich von Rom, Chiavenna an der lombardisch-tessiner Grenze und schließlich Comacchio im Po-Delta östlich von Ferrara. Doch der Esther Kinsky, die aus dem Rheinland stammt und heute in Berlin lebt, geht es um keine touristischen Reiseerlebnisse. Stattdessen blickt sie mit großer Geduld und literarischer Sensibilität auf vergessene Gelände, von der Natur und den Menschen zerstörte Landstriche.

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PRIESTER, POET, REBELL

Carl Wilhelm Macke über David Maria Turoldo, einen vergessenen Dichter aus dem Friaul

David Maria Turoldo in Fontanella Sotto il Monte Anfang der 1960er Jahre

David Maria Turoldo in Fontanella Sotto il Monte Anfang der 1960er Jahre

München/Ferrara – Mit einer Charakterisierung von David Maria Turoldo könnte man es sich leicht machen. Er war ein Gedichte schreibender Priester, dessen intellektuelle Welt durch und durch von seiner katholischen Herkunft geprägt wurde. Seine Bilderwelt entstammt der Bibel und den Erzählungen rund um das Leben der Heiligen – Franziskus von Assisi und Teresa von Avila vorneweg. Priester blieb Turoldo tatsächlich bis zu seinem Tod im Jahre 1992 in Mailand. Kardinal Carlo Maria Martini zelebrierte die Totenmesse in der Chiesa San Carlo. Aber ein kurzer Blick auf seine Vita zeigt bereits, dass man es sich mit diesem scheinbar so erzkatholischen Dichter so leicht nicht machen kann.

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DIE VILLA AM SEE

Carl Wilhelm Macke: Eine sentimentale Erinnerung

Bracciano in einer historischen Fotografie

Bracciano in einer historischen Fotografie

Ein Teil von uns muß bereits lange vor unserer Zeit
seinen Anfang genommen haben. Anders als einen die
Erfahrung lehrt, habe ich den Eindruck, daß man nicht
auf einmal geboren wird. Ich glaube, daß man Stück
für Stück auf die Welt kommt, daß auch ich auf gewisse
Weise schon weit vor meiner Zeit begonnen habe.
( Richard Obermayr „Das Fenster“ )

Ferrara/Vicarello (Bracciano) - Zusammen mit vier Freundinnen verbrachte meine Mutter Anfang der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts einige Monate in dem kleinen Ort Vicarello am Lago di Bracciano, nördlich von Rom. Dort befand sich in jenen Jahren eine kleine vatikanische Sommerresidenz, der auch eine von Nonnen geleitete Hauswirtschaftsschule angegliedert war. Wer die jungen Frauen aus dem mit Gottvertrauen und – jedenfalls in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts - mit Priestern überreich gesegneten Oldenburger Münsterland dorthin geschickt hatte, weiß ich nicht. Vermutlich haben meine Großeltern, die in einem Nest in jener Gegend ein Hotel besaßen, die Adresse von einem örtlichen Pfarrer oder, was wahrscheinlicher ist, von Dominikanern erhalten, die ein Internat in dem Ort unterhielten.

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DIE VERZAUBERUNG IST LANG

Carl Wilhelm Macke:
Über den Dichter Biagio Marin aus Grado

copyright Biagiomarin.it

Biagio Marin 1891 - 1985

Ich, um zu geben
nur Worte hab ich bereit
nur das Gedicht
das Atemkleid.

Die hab ich gebreitet
über die Insel
ein tiefblauer weiter
beständiger Himmel.

Dann wehte der Jahreswind
der Nord oder West
das Sein bleibt nicht fest
und sie schwinden. (1)

Ferrara/München - Wie entdeckt man eigentlich Dichter und ihre Gedichte? Zum Beispiel auf Umwegen über die Werke anderer Schriftsteller, wo man zum ersten Mal den Namen eines unbekannten Dichters liest. Die lange Reise von Claudio Magris entlang der Donau („Biographie eines Flusses“, München, 1988) endet mit einem Zitat, das mich neugierig gemacht hatte. „Mach, daß mein Tod, Herr“, heißt es in einem Vers von Biagio Marin, „sei wie das Fließen eines Stromes in t’el mar grando, in das große Meer“.

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