Glauben


Briefe aus der Quarantäne (7): Es wird immer stiller, man hört Musik und nimmt Fäden zur Vergangenheit auf Mailand (22. März) – Sonntag, der fünfzehnte Tag im Ausnahmezustand. Eine gespenstische Ruhe liegt über der Stadt. Die Schlangen vor der Esselunga in dem Viale Piave werden länger. Heute Morgen hatte ich noch Glück – nur etwa 25 Minuten Wartezeit. In den Medien hört man von abenteuerlichen Schlangebildungen in Italien bis zwei Stunden und mehr. Und die Gesichter werden ernster. Zunächst war das Anstehen vor dem Supermarkt Gelegenheit für einen Schwatz, einen Scherz mit anderen – immer Abstand wahrenden – Wartenden. Heute herrscht Stille auch in der Schlange. Immer mehr Menschen sterben. In der Lombardei sind es inzwischen über 3000, gut 1000 allein in den vergangenen drei Tagen.

EIN HÄUFCHEN MUTIGER MÄNNER


Das Teatro delle Albe aus Ravenna und zwei Gastspiele in Mailand. Eine Arbeit von Marco Martinelli und eine Vorlage von Luca Doninelli interpretiert jeweils von Ermanna Montanari. Mailand (Teatro dell’Elfo/Teatro Oscar) – fedeli d’Amore („Gläubiger der Liebe“) ist ein „Polyptichon“, wie es der Autor und Regisseur Marco Martinelli nennt. Sieben Szenen, die sich um die letzten Stunden von Dante Alighieri drehen, um seine Phantasien, Ängste oder die Tochter Antonia, die zum letzten Abschied an sein Bett tritt: „Padre, sono qui, mi senti? – Vater, ich bin hier, hörst Du mich?“. Der florentinische Dichter, die (über)große Vaterfigur der italienischen Literatur, starb an einem nebligen Septembermorgen 1321 im Exil in Ravenna. Martinelli schafft im Rückgriff auf den romagnolischen Dialekt, dem Dialekt der Stadt Ravenna, Monologe von poetischer Kraft, denen Ermanna Montanari mit ihren Stimmvariationen szenischen Raum gibt, der musikalisch mit Dissonanzen noch geweitet wird. Zu den aufgefalteten Bildern des Polyptichon gehört auch eine Vision Dantes, die sich von der Zersplitterung Italiens aus der Zeit der Stadtrepubliken in die Gegenwart weitet – ein Italien, „che scalcia se stessa“, das sich laufend selbst ein Bein stellt.

im Theater: fedeli d’Amore / Maryam



Montecassino (2): Mittelalterliche Einrichtungen der Benediktiner in Italien möchten in die Welterbe-Liste der Unesco aufgenommen werden. Ein Gespräch mit dem Kunsthistoriker Ruggero Longo Montecassino/Mailand – Das Stammkloster der Benediktiner auf dem Monte Cassino spielt eine zentrale Rolle bei einer Initiative, die sich für die Aufnahme der Kulturlandschaft der mittelalterlichen Benediktinersitze Italiens in die Unesco-Liste des Welterbes einsetzt. Die erste Hürde ist genommen und die Kandidatur anerkannt. Es geht um acht Niederlassungen der Benediktiner in Italien. Neben der Abtei Montecassino (Region Latium) und den Klostern in Subiaco (ebenso im Latium), die noch von Benedikt selbst gegründet wurden, gehören dazu unter anderen auch die Abtei San Pietro al Monte (Lombardei) oder die Sacra di San Michele (Piemont) – hier zur vollständigen Liste. Das endgültige Bewerbungsdossier steht kurz vor dem Abschluss. Mit einer Entscheidung kann man ab 2020 rechnen.

DER FRIEDEN DER MÖNCHE


Cassino im Dezember – Nieselregen empfängt den Reisenden, der am frühen Vormittag aus dem Bahnhof tritt. Die Abtei Montecassino thront hoch oben auf der Hügelkuppe im Dunst. Ein Kleinbus wartet am Bahnhofsplatz auf Studenten und Professoren, um sie zu den Einrichtungen der in der Kleinstadt 1979 gegründeten staatlichen Universität des südlichen Latiums (fünf Fakultäten, 8000 Studierende) zu bringen. Der Kiosk zur Information von Touristen ist verriegelt. Möglich, dass auch Sehenswürdigkeiten aus der Antike wie die Ruinen des römischen Theaters oder die das Amphitheaters so kurz vor Weihnachten nicht zu besichtigen sind.

In Cassino



Die Anglistin Aleida Assmann und ihr Ehemann, der Ägyptologe Jan Assmann, haben zusammen das Konzept des „kulturellen Gedächtnisses“ entwickelt. Dafür wurden sie jetzt mit dem Balzan Preis 2017 ausgezeichnet. Ein Gespräch mit Ihnen über die langen Wellen der Erinnerungskulturen vom alten Ägypten bis zur aktuellen Gegenwart. Mailand/Bern  – Aleida Assmann und Jan Assmann sind ein außergewöhnliches Ehepaar. Als Wissenschaftler pflegen sie extrem entgegen gesetzte Fachrichtungen. Sie, geboren 1947, hat sich als Anglistin und Literaturwissenschaftlerin einen Namen gemacht und mit Gegenwartsfragen beschäftigt. Er, geboren 1938, ist einer der bekanntesten deutschen Ägyptologen und Religionswissenschaftler. In Bern wurde ihnen jetzt der Balzan Preis überreicht. In einem Gespräch, das den breiten Bildungs- und Interessenshorizont der beiden Wissenschaftler nur andeutungsweise sichtbar werden lässt, geht es um Moses und Thomas Mann, um afrikanische Greise, die Rolle der Medien oder die Folgen der anhaltenden Migrationsbewegungen für die Erinnerungskultur in unseren Städten

AM BRUNNEN DER VERGANGENHEIT